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Transkription von Lennart Piro, textarchiv.org, basierend auf den Scans des Münchener Digitalisierungszentrums (Allgemeine Zeitung <München> / 1899 = Jg. 102, 4 und Jg. 102, 5).


Inhaltsverzeichnis


Philipp Mainländer.

Ein Vorwort zu dessen Novelle „Rupertine“.

Von Dr. phil. Fritz Sommerlad (Gießen).

Der Verfasser der Novelle „Rupertine“, die an dieser Stelle zum erstenmal veröffentlicht werden wird, benutzte die Dichtkunst nur als ein Mittel zu einem höheren Zwecke, wie er selbst einmal bemerkt hat, als ein Mittel zur Darstellung philosophischer Gedanken. Aber er war eine dichterisch empfindende und gestaltende Persönlichkeit, indem er Philosoph war; daher zeigen denn auch viele Blätter seines Hauptwerks einen begeisterten Schwung, eine hinreißende, aus glühendem Herzen kommende und herzdurchglühende Wärme der Gesinnung wie des rednerischen Ausdrucks. Und es wird ja auf dem Gebiete der Philosophie, soweit sie sich nicht ausdrücklich als rein exakte Wissenschaft bezeichnet, die alle Phantasiearbeit, sowie alle künstlerische Darstellung absichtlich verwirft, auch ewig ein Hinübergleiten aus der kühlen Welt des reinen Denkens in die farbendurchwärmten Regionen stattfinden, in der der Künstler phantasievoll thätig ist. Der Satz: entweder ein Mann der Wissenschaft oder ein Künstler — beides vereint die Natur nicht — dieser Satz ist eine kühn in die Welt gestellte Behauptung ohne Berechtigung. Goethe und Schiller zeigen, daß ein Fürst im Reiche der Phantasie zugleich mit wissenschaftlicher Genauigkeit arbeiten und systematisch aufbauen kann, und unser Mainländer beweist wenigstens, daß der dichterisch Beanlagte bei fortschreitender tieferer philosophischer Bildung sehr wohl zum reinen, wenn auch nicht exakten Philosophen werden kann. Die nachfolgende Novelle stellt zu den allgemeinen Hauptgedanken des Philosophen ein greifbares Beispiel dar, eine Illustration zu einer oder der anderen Seite seines philosophischen Textes.

Hier stoßen wir auf eine Grundlage des Zusammenhangs zwischen Kunst und Philosophie: es ist das Bedürfniß nach dem besten Ausdruck. Der abstrakt denkende Philosoph muß nach der Wirklichkeit der Bilder zur Verdeutlichung seiner Gedanken greifen, wie umgekehrt der Künstler die Gestalten, die er aus der Phantasie erzeugt hat, mit dem Erbe auch seines Gedankenreichthums ausstattet.

Kennt man nun aber den Philosophen, so wird selbst eine Kleinigkeit, künstlerisch von ihm geschaffen, eine gewisse Achtung beanspruchen dürfen, und so hoffte der Bearbeiter der Novelle, den über Mainländer den Philosophen Unterrichteten — es sind in letzter Zeit deren mehr geworden — mit der Veröffentlichung eine dankenswerthe Gabe zu bieten, während er denen, die die Novelle als rein literarische Arbeit anzusehen geneigt wären, einen kurzen Ueberblick über des Verfassers philosophische Grundgedanken geben zu müssen glaubt.

Philipp Mainländer oder mit dem wahren Namen Batz, der am 5. Oktober 1841 zu Offenbach a. M. geboren wurde, schlug die Laufbahn des Kaufmanns ein, arbeitete dabei viel für sich, Sprachen, Literatur, Geschichte, Naturwissenschaft, Philosophie, war längere Zeit in Neapel, später in Offenbach und Berlin; aus äußeren Gründen blieb er seinem Berufe treu, während er seine Lebensaufgabe in der philosophischen Thätigkeit erblickte. Er veröffentlichte ein Werk: „Die Philosophie der Erlösung“ (jetzt bei Hübscher u. Teufel, Köln), dessen 1. Band 1876 — in seinem Todesjahre — erschienen ist; der 2. Band folgte 1886 nach, von seiner treuen, ihm geistesverwandten Schwester Minna aus seinen Papieren zusammengearbeitet. Ein seltener und seltsamer, ein herrlicher und beklagenswerther Mensch ist er gewesen; ein Mann von glänzender Beanlagung, von großer Tüchtigkeit in seinem Berufe, von rastlosem Streben nach seinem Ideal erfüllt; Güte und Menschenfreundlichkeit im Herzen, große Gedanken im Kopfe tragend — kurz, ein Mensch, der für diese Welt aufs beste ausgerüstet schien, dem aber dieses Leben nicht lebenswerth dünkte, als er es in sich, um sich und in der Geschichte durchschaut zu haben vermeinte; ja mehr, dessen Nachdenken das Leben überhaupt sich darstellte als ein Trieb und Drang zur Selbstaufhebung, als Wille zum Tod. Das ist der Hauptgedanke seiner Philosophie. Wenn Schopenhauer, sein verehrter, wenn auch von ihm scharf kritisirter Meister, sagte, das Leben als Wille müsse aufgehoben werden, so erklärt Mainländer: das Leben, ja die Welt ist, richtig besehen, nichts anderes, als die allmähliche Selbstaufhebung des Willens; es ist ein Streben nach dem Tode. Und das glaubt er nun mit Hülfe der Metaphysik wissenschaftlich beweisen zu können, aus der Geschichte wie aus der Naturwissenschaft durch den Nachweis eines „Gesetzes der Schwächung der Kraft“ oder eines „Gesetzes des Leidens“; und in der Erkenntnis, daß der Tod wirklich das Nichts ist, das absolute Nichts, kein „Schlafen, vielleicht auch Träumen“, kein Durchgang zu einem künftigen Leben, weder zur Qual, noch zur Seligkeit, sondern ein Ende aller Mühen und aller Freuden; in der Zuversicht, daß dieser Gedanke für den Weisen ein unendlich beseligender, sein ganzes Dasein beruhigender und verklärender sei, in dieser Erkenntniß, die durch ihn und sein Werk nun gesichert sei, darin liegt, so glaubt Mainländer, thatsächlich die Erlösung für den Menschen. Ein erleichternder letzter Seufzer ringt sich bei dieser Einsicht dann aus der Brust der Menschheit: „O Glück, es gibt eine vollkommene Ruhe, ein wirkliches Ende!“

Eine vielleicht beseligende Weltanschauung für den tief erschöpften, aller anderen Hoffnungen baren, alten Menschen, der sein Leben unter Arbeit und Mühsal verbracht hat, oder auch für den nervös zerrütteten Jungen, der so müde ist, so müde! Aber wunderbar, so war unser Philosoph gar nicht; er war jung, kräftig, thätig, geistig wie körperlich! Es mußte in diesem Manne, der rastlos schaffen konnte, ohne zu ermüden, als gewandter, welterfahrener Kaufmann, als strammer Soldat — er hat noch in seinem 34. Jahre freiwillig bei den Kürassieren in Halberstadt gedient — als sorgfältiger Gelehrter, der seinen Kant und Schopenhauer studirte und kritisirte, den feinsten Verzweigungen der Gedanken, den verschlungensten Pfaden in ihrer Verknüpfung nachgehend, es mußte in ihm eine tief melancholische Saite erklingen, der er mitten im thätigen Leben stehend, wieder und wieder lauschte, bis ihn der müde Ton nicht mehr ließ und ihn endlich in den Kreis des Todesgedankens hineinzog. Daß er eine solche Anlage, und wohl als ein Erbtheil seiner Herkunft besitze, stand ihm selbst fest. „Die Mutter gab“, so heißt es in seiner Selbstbiographie (vgl. meine Mittheilungen daraus in der Zeitschr. für Philosophie und philosophische Kritik, 112. Bd., 1. Heft), „melancholisch Blut“ und „Urahnfrau liebte myst'sche Gluth'“.

Unser Philosoph nimmt für seine Lehre auch das Christenthum in Anspruch. Die Acht, die seiner Meinung nach hier über die irdische Welt ausgesprochen ist, muß nur auf alle und jede Welt bezogen werden — so bleibt das Nichts als einziger Ausgang. Es kann dem gesunden Menschen in dieser Atmosphäre nicht wohl bleiben, das ist gewiß; und es ist zu hoffen, daß recht Vielen der Aufenthalt in diesem Gedankengebäude drückend und drückender wird. Zum Glück ist auch hier der Grundgedanke eine so vollkommene Umkehrung einer für das nun einmal vorhandene Leben brauchbaren, gesunden Weltanschauung, daß diese Lehre in Theorie und Praxis wenige Schüler und Anhänger finden wird — der Selbstmord steht dicht hinter der Ausgangsthür dieses Werkes, und unser Philosoph ist ihm selbst verfallen. Aber dieser Lehrer vermag seine Gedanken und Stimmungen geradezu bestechend mitzutheilen, und überall schaut aus den Blättern seines Werkes ein so mild blickendes, menschenfreundliches Antlitz hervor, das so sanft-ernsthaft reden, so welterhaben lächeln kann, das — es klingt angesichts jener Lehren paradox, aber es ist wahr — ein so frommes Gemüth ausspricht, daß wir ihm tiefbewegt freundlich-schmerzlich zunicken, daß wir diesem Manne gestehen müssen: du vermagst uns zu dieser Erlösung freilich nicht zu bekehren, aber wir können dich verstehen und wir müssen dich verehren, du reines, edles Herz!

Wer Genaueres über das System Mainländers zu wissen wünschte, den müssen wir auf „die Philosophie der Erlösung“ verweisen; er wird dort eine wunderliche und wunderbare Welt finden, er wird von vielen Blättern geradezu gefesselt sein und auch den geistigen Arbeiter auf seinem Gebiete schätzen lernen. Besonders der 2. Band mit seinen Essays wird auch weitere Kreise anzuziehen vermögen. — Wem aber Mainländer mehr als Dichter interessant ist, der versäume doch auch nicht, seine drei Hohenstaufendramen Enzo, Manfred, Conradin zu lesen, die in der Ausführung zwar von ungleichem Werthe sind, aber viel Schönes enthalten. Auch hier hat den Verfasser seine Schwester unterstützt („Die letzten Hohenstaufen,“ ein dramatisches Gedicht von P. M. Mainländer, Leipzig, ohne Jahreszahl, Schmidt und Günther). Andere Dichtungen ruhen noch bei den hinterlassenen Papieren des Philosophen.

In der Novelle „Rupertine“ nun aber steht der eine Held an der Stelle des Verfassers selbst, ein Philosoph nach seiner Art, der die Welt der Leidenschaft überwindet: so nach meiner Bearbeitung; denn im Original hat er sie vom Anfang an schon überwunden. Es schien wahrscheinlicher, und menschlicher wie dichterisch interessanter, wenn jene Durcharbeitung zur völligen leidenschaftslosen Ruhe vor unseren Augen stattfände. In dem Mädchen, der Heldin der Erzählung, spiegelt sich die andere Seite der Welt: die ruhelose, jagende und treibende Leidenschaft des Herzens, vor der Ruhe zu gewähren gerade die Aufgabe der Mainländer'schen Philosophie ist. Ihr zur Seite tritt der dritte Held, wie sie am rasch verzehrenden und rasch verzehrten Leben hinsterbend. — Die eine in den sachlichen Verlauf der Erzählung eingreifende Aenderung durfte ich mir wohl erlauben, ohne ein Unrecht gegen der Verfasser zu begehen; die Novelle ist, wie Mainländer in seiner Biographie selbst sagt, ganz flüchtig niedergeschrieben, nur um seiner Schwester zu zeigen, „daß er auch eine Novelle schreiben könne“; sicherlich, glaube ich, hätte der Verfasser selbst in der Aenderung eine Verbesserung gesehen. Die Form mußte theilweise geändert werden, weil sie bei der Flüchtigkeit des Entwurfs doch nicht durchaus künstlerisch hatte ausfallen können. In der Behandlung des Stils bin ich dem Erzähler gefolgt; ich bin mir bewußt, daß es nicht der allerneueste Novellenstil ist; aber darum ist er vielleicht nicht gerade der schlechteste. Die drei Stellen aus Goethe schienen mir so passend, sie fassen in ihrer Kürze den Inhalt der Kapitel so richtig zusammen, daß ich mich nicht enthalten konnte, sie über die einzelnen Abschnitte zu setzen.

Möchte das Interesse, das vielleicht mancher Leser an dieser anspruchslosen Geschichte zu nehmen geneigt ist, die Aufmerksamkeit noch mehr als bisher auf meinen Landsmann, den merkwürdigen Philosophen von Offenbach lenken. Er ist dort selbst wenig bekannt.


Rupertine.

Novelle von Philipp Mainländer.

Frei nach dem Original bearbeitet von Fritz Sommerlad.


I. Kapitel.

„Wie jammert mich das edle, schöne Herz,
Welch traurig Loos, das ihrer Hoheit fällt!
Ach, sie verliert — und denkst du, zu gewinnen?“

Goethe, Tasso.

1.

An dem Ausgang eines Städtchens der Bergstraße liegt ein kleines einstöckiges Landhaus, fast völlig im Grünen versteckt. Ueber dem tiefen Vorgarten, den ein eiserner Stacketenzaun von der Landstraße abschließt, wölbt sich ein dichtes Geflecht schattiger Zweige von Kastanien, Platanen, Akazien und Linden und gewährt die köstlichste Kühlung, wenn draußen auf der sonnigen, weißbestaubten Straße die sommerliche Hitze brütet. Nur hier und da fällt ein glänzender, tanzender Lichtstrahl durch das eng verstrickte Gezweig auf den saftig grünen Rasenteppich, der sich vor dem Hause hinbreitet. Geheimnißvoll lugt die weißschimmernde Villa aus dem Grün hervor, in ihrer Abgeschlossenheit und Ruhe ein Rätsel für jeden phantasievollen Beschauer. Was mag in dem stillen Hause vorgehen? Ein Glücklicher muß da in ungetrübter Ruhe seiner Tage genießen!

Die heiße Junisonne war noch nicht über die waldumsäumten Höhen hinter dem Landhause emporgestiegen, da durchschritt ein rüstig aussehender, hochgewachsener Mann den Garten, ein lebhaftes, junges Pferd am Zügel führend. Vor dem Thore schwang er sich leicht in den Sattel, beruhigte das ungeduldige Thier durch einen sanften, langsamen Strich über die helle, prächtige Mähne und ritt dann im Schritt die Heidelberger Landstraße hinab. Sein Auge ruhte in tiefer, friedvoller Beschauung auf der thaufrischen, duftigen Gegend, und er versenkte sich so in den Genuß des herrlichen Morgens, daß er die Stimme überhörte, die ihn mit Namen rief. Da brachte eine geschickte Faust das Pferd zum Stehen, und auffahrend erblickte der Reiter einen schönen Jüngling vor sich, der ihm heiter lachend die Hand entgegenstreckte.

„Seht, da kommt der Träumer!“ rief er. „Guten Morgen, Wolfgang! Wüßt' ich nicht, daß du dem Weibe entsagt hast und dein Herz in Liebe zur ganzen Menschheit entbrannt ist, so dächt' ich: du bist verliebt! So kommst du daher, selig blickend, gedankenvoll! ich ruf' und rufe, aber du bist dieser alltäglichen Welt entrückt in ferne Weiten!“

„So ist's,“ sprach der Reiter, dem Freunde herzlich die Hand schüttelnd; „entrückt in ferne Weiten! Aber ist das Träumen mit offenen Augen ein so sicheres Kennzeichen der Verliebten? Du bist verliebt und wachend durchstreifst du den frühen Morgen! Was sagst du?“

Der junge Mann nahm den leichten Strohhut ab und strich sich durch die blonden Locken. Ein Schatten flog über sein schönes Gesicht und aus den großen blauen Augen blitze es auf.

„Dies Rätsel löst sich leicht, lieber Freund. Der Blüthenmai der ersten Liebe ist geschwunden und des Trauerspiels — doch, was sage ich,“ verbesserte er hastig — „der Komödie zweiter Akt hat begonnen.“ „Wolf!“ rief er erregt, „du weißt nicht, wie entsetzlich launisch Rupertine ist!“

„Rupertine?“ sagte Wolfgang.

„Vielleicht,“ entgegnete der Andere rasch, „paßt das nicht, launisch. Sie will mich ganz und gar besitzen, sie will alles in mir binden, nur meine Liebe zu ihr soll frei sein. Ihre Leidenschaft ist verzehrend, herrisch, dämonisch, wild! Aber ich kann mich nicht unterwerfen, ich muß frei sein, soll ich nicht die Luft am Leben verlieren, an dem ich mit dürstenden Lippen hänge!“ Er hielt an, lebhaft bewegt. „Und doch,“ fuhr er fort, da Wolfgang ihn besorgt ansah, „und doch ist das alles ja viel zu ernst gesagt! Komm', steig' ab und laß uns ein Stück zusammen gehen. Rupertine — ach, sie ist ja mein köstlichstes Gut, das herrlichste Geschöpf auf dieser Erde: ‚Gott schuf sie und zerbrach die Form!‘ O, sie ist ja mein, mein, mein — süßes, einziges, holdestes Mädchen!“

Wolfgang sah ihn lächelnd an. „ich wußt' es ja,“ sagte er herzlich, „deine Liebe steht jetzt wie vordem in der Blüthe! ihr — und nur ihr gehört einander und keine Macht der Welt mag euch trennen! Und sehe ich dich an, du prächtiger, schöner Mensch, so ist mir's auch so verständlich, daß sie den reizenden Schmetterling ganz im Besitz haben will, die schöne, duftige Blume! Doch sag', weiß der alte Gelehrte nun von eurer Liebe? Und habt ihr die Zeit eurer Vereinigung schon bedacht? Wann wird man euch das Hochzeitslied anstimmen?“

Ach nein, Wolfgang; wir leben so in den Tag hinein. Aber freilich, daran müssen wir wohl jetzt denken! Rupertine schaudert vor dem Tage zurück, der ihren alten, guten Vater in die ödeste Einsamkeit versetzt, und ich wollte, es legte nie ein Priester die Kette um uns! Aber die Welt will's ja so und wir werden uns fügen müssen. Nun, ich will mein Schicksal mit Würde tragen,“ fügte er lächelnd hinzu. „Und nun sage mir, Freund,“ fuhr er fort, „erräthst du wohl, weßhalb ich dir hier aufgelauert habe? Nein, du erräthst's nicht, du denkst nicht daran. Lebewohl wollt' ich dir sagen, Abschied von dir nehmen!“

„Wie? Jetzt, in dieser Lage, Abschied von hier?“

„Ja, Lieber — indessen braucht er sein ernsthaftes Gesicht nicht in noch ernstere Falten zu legen, Herr Philosoph — es handelt sich nur um ein paar — drei Tage. Ich will nach Baden-Baden; ein Freund, der gute, dicke Brönner, du kennst ihn ja, erwartet mich dort. Wir waren solange nicht zusammen. In einer Stunde reise ich ab. Halte dich wohl, Wolf.“ Er reichte dem Anderen die Hand, um sich zu verabschieden. „Glückliche Reise denn,“ sagte Wolfgang, „und bleibe nicht zu lange aus, Rupertine wird in Sehnsucht vergehen!“

„Drei Tage, Lieber, nicht länger! Lebe wohl!“ Er reichte ihm nochmals die Hand und eilte dann nach dem Städtchen zurück. „Ich wohne im Englischen Hof,“ rief er noch zurück, „für den Fall einer dringenden Mittheilung!“

2.

Es vergingen drei Tage. — Auf den Strahlen der untergehenden Sonne spielten unzählige Geister des Lichtes im Laube der alten Bäume des Vorgartens und suchten in die schattige Halle einzudringen, wo Wolfgang Karenner sinnend auf und nieder ging. Er hatte den Nachmittag über geschrieben und studirt, und mancher Gedanke zog ihm noch durch den Kopf, da er sich von der Gedankenarbeit im Freien erholen wollte.

Da wurde das Gartenthor geöffnet und ein junges Mädchen eilte auf ihn zu, schlang die Arme um seinen Hals, küßte ihn rasch, und dann seine Hand hastig ergreifend, fragte sie angstvoll: „Wolf, liebster Vetter, wo ist Otto? — Du mußt es wissen! — Ach, er ist weg, ohne Kuß, ohne Abschied! — Sprich, Freund, wo ist mein Licht, mein Herrlicher? —“

„Sei unbesorgt, reizendes Bäschen,“ entgegnete Wolfgang und strich ihr väterlich über die erhitzten Wangen. — „Er ist auf drei Tage nach Baden-Baden. Er muß heute oder längstens morgen wiederkommen. Er wollte einen Freund dort treffen. — Aber daß du das nicht weißt, Kind!“ setzte er verwundert hinzu.

„Ich weiß nichts, gar nichts davon! —“ Ihre Stimme klang zornig und ängstlich zugleich. „Ach, daß er so weggehen konnte!“ — Sie schmiegte sich an Wolfgang an, und er fühlte, daß sie aufschluchzte.

„Ihr wart uneinig, Rupa,“ sagte er, „nicht wahr, ehe er wegging?“

Sie hob den schönen Kopf. „Am Abend, da ich ihn zuletzt sah, ja.“ Sie sah starr vor sich hin. „Er will mich unterjochen, und das dulde ich nie und nimmermehr!“ setzte sie dann heftig hinzu.

Wolfgang mußte lächeln. Er dachte an Otto's Klage. — „Beruhige dein liebes Herz, Rupa; als er Abschied von mir nahm, schwärmte er im Entzücken über seine herrliche Braut. Er ging nicht im Unwillen weg. — Ei,“ setzte er lustig hinzu, „sogar von der Hochzeit sprach er ja.“

Rupertine schwieg und schlug die Augen nieder. — Dann sagte sie leise vor sich hin: „Mein armer, guter, lieber Vater!“

„Was ist mit dem Vater, Kind? Ich hörte schon von Otto so etwas. Ihr sollt ihn ja doch nicht verlassen?“

„O, Wolf, sieh, das war es ja, was uns entzweite. Otto will weg mit mir, nach Sorrent. Er müsse wieder den Golf von Neapel sehen, blauen italischen Himmel und goldene italische Luft. Vulkanischen Boden müsse er unter sich fühlen, sagte er. Ach, er ist Künstler — und nur dort sei die Welt Kunst. Die Bäume Italiens hätten mehr Grazie als deutsche Mädchen; überall Gestalten von bestrickender Anmuth, herrlichen Bewegungen, entzückenden Farben — hier alles öde, dumpf, grau! — Wolf, hat er denn mich nicht — mich, die er so überschwänglich schon verherrlicht hat?“

„Gewiß hast du ihm das auch gesagt?“ sagte Wolfgang lachend. Rupertine nickte. „Nun, und was war seine Antwort?“ „Zu meinen Füßen sank er nieder und rief begeistert: Dich und Italien! So kann ich Großes schaffen?! Du herrliches Gebilde wirst mir in dem Lande der Schönheit doppelt herrlich erscheinen, in dem idealen Land ein ideales Wesen an meiner Seite wandeln. — Ach — ich kann's ihm ja nachempfinden, diese Sehnsucht. — Aber der düstere Gedanke dann dort: der Gedanke an meinen armen, verlassenen Vater — er kann nicht ohne mich sein! — Und das sagte ich ihm — er sprach dagegen, wurde heftig, leidenschftlich, wild — und ich ließ mich hinreißen — ich schmollte, ward unwillig, erregt, unbändig! — O, wäre ich's nicht gewesen,“ fügte sie, wieder aufschluchzend, hinzu. „Er ist fort darüber! Mir ahnt ein Unheil, ein schreckliches Unheil, Wolf!“ — Die Thränen standen ihr in den Augen.

„Die Götter gaben dir ein köstliches und grausames Geschenk mit, Rupa,“ sprach Wolfgang ruhig und nachdrücklich, „deine Phantasie überglänzt dir die Welt und hüllt sie in Nacht, wann der nüchterne Mensch die einfachsten Veränderungen und Verkettungen natürlichster Art sieht. Zügle sie, zügle sie — sie wird dir sonst ein helles, heiteres Leben verfinstern und dich namenlos unglücklich machen!“

Ach, ich bin's schon! Ich bin unglücklich, tief unglücklich!“ rief sie leidenschaftlich.

Sie sank auf die Steinbank nieder und bedeckte laut aufweinend das Gesicht.

Wolfgang wurde noch ernster. Fast streng sagte er: „Rupa, wie willst du dich geberden, wenn du vor einem wirklichen Unglück stehst? — Glaube mir, auf deiner Bahn durchs Leben werden auch die Dämonen nicht fehlen mit ihren furchtbaren, aber heilsamen Geschenken. Was willst du dann thun? Verzweifeln? Fasse dich, richte dich nicht selbst zugrunde. Bist du nicht wie jene leidenschaftliche Agrippina: ‚ungestüm im Schmerz und unfähig zu leiden‘ — wie der alte Tacitus sagt? Und es ist nicht einmal ein Leid, das dich bedrängt — ein Nichts ist's, eine Einbildung! — Rupa,“ setzte er begütigend hinzu, „meine liebe, gute Mutter, die dich liebte wie die eigene, hat dich noch auf dem Sterbebette meinem Schutze empfohlen: ich mußte ihr versprechen, über dich zu wachen, dich zu behüten. Sie kannte dich und mich. Du hast keinen treueren Freund als mich. Laß dich von mir warnen! Folge dem wohlgemeinten Rath zu deinem und unser Aller Glück: bezwinge dich, sei nicht Sklave deines leidenschaftlichen Herzens. Sei verständig, Kind!“

Wolfgangs Worte, namentlich die Erinnerung an die erst kürzlich verstorbene Mutter, verfehlten ihren Eindruck nicht. — Rupertine ward ruhiger; sie trocknete ihre Thränen und sah dankbar zu ihm auf.

„Ich danke dir, treuer Freund! Ich will hoffen und gefaßt sein. Ach, wenn Otto nur zurückkehrte — alles wäre ja gut!“

Laß uns geduldig bis morgen warten. Dann kommt der Ersehnte, und mit ihm dein schönes, sonniges Glück! Er mag dir dann de- und wehmüthig Abbitte leisten für die Angst und Sorge deines zarten Herzens.“

Sie hatten sich erhoben. „Ich danke dir,“ sagte sie nochmals mit einem warmen Blick und reichte ihm die Hand. „Bis morgen also!“ und sie eilte nach dem Gartenthor, und den ihr folgenden Blicken des ernsten, besonnenen Mannes entschwand sie bald im weichen, warmen Dämmern des Sommerabends.

3.

Der nächste Tag verstrich, aber der Entflohene kam nicht. Es verging noch ein Tag und wieder einer, und er war noch nicht wieder erschienen. Und eine Woche war verflossen und Otto war nicht da, keine Nachricht von ihm, — nichts.

Ein Brief Wolfgangs war mit dem Vermerk zurückgekommen, der Adressat sei abgereist. Von dem Gastwirth in Baden-Baden erfuhr Karenner, Herr v. Düßfeld sei nach Stuttgart gefahren. Die zweite Woche brachte so wenig Kunde wie die erste.

Rupertine hatte in unbeschreiblicher Aufregung von Tag zu Tag gewartet, von Wolfgang, so gut es ging, getröstet. Aber als die erste Woche verstrich, da folgte auf den peinigenden Zustand der Angst, des Zornes, der gräßlichsten Unruhe auf einmal ein Umschlag in ihr: sie ward still, unheimlich ruhig und still. Am Abend eines schwülen Tages, als Wolfgang, auch tief bekümmert um den Freund und die Freundin, am Fenster stand, sah er Rupertine den Garten betreten und nach der Hausthür schreiten. Er ging ihr eilig entgegen; sie reichte ihm, eine erschreckende Ruhe im Antlitz, die Hand, und ehe Karenner noch ein Wort der Begrüßung sagen konnte, sprach sie mit fester Stimme: „Wolfgang, ich komme zum letztenmal mit einer Bitte zu dir. Verschaffe mir, ich flehe dich an, verschaffe mir Gewißheit über Otto!“

„Liebste Rupa,“ entgegnete er herzlich, „ich hatte schon beschlossen, morgen zu reisen und ihn aufzusuchen. Ich muß ihn finden. Mich selbst treibt nun die Unruhe um den Freund hinweg. Ich find' ihn und bring' ihn dir!“

Sie schüttelte leise den Kopf. „Sprich davon nicht. Aber du gibst mir das Versprechen, mir nichts zu verschweigen, wenn du wiederkommst.“

Nichts! Ich verspreche es.“

Er begleitete sie nach ihrer Wohnung; sie gingen schweigend nebeneinander. Dort nahm er Abschied; er konnte kein Wort der Zuversicht mehr sprechen. Als er ihr die Hand reichte, durchschauerte die Erregung plötzlich ihren Leib; aber sie bezwang sich und sprach leise und eindringlich zu ihm: „Wolf, wenn er todt ist, du bringst die Leiche mit?“

Er konnte nicht sprechen. Er drückte ihr die Hand und eilte davon.

Er blieb nicht länger als eine Woche aus. Spät am Abend kam er im Städtchen wieder an und eilte sogleich nach der Wohnung des alten Gelehrten, ein schmerzbeladener Bote. Im Wohnzimmer fand er Rupertine noch lesend. Als er eintrat, erschrak sie heftig, sie konnte sich nicht vom Sessel erheben; aber ihre Augen hingen an seinen Lippen. Und ehe er noch ein Wort gesprochen hatte, schien sie das Schreckliche errathen zu haben. Mit einem herzzereißenden Aufschrei sank sie zurück und bedeckte mit den Händen das Gesicht.

Wolfgang setzte sich zu ihr nieder, zog ihre Hände sanft herab und hielt sie in den seinen. „Rupa,“ sagte er mit gepreßter Stimme, „ich habe versprochen, dir nichts zu verschweigen. Das Schlimmste weißt du! Ach, es ist ja nur eine Vermuthung, aber fast auch keine Vermuthung mehr. In Baden-Baden erfuhr ich, Otto sei mit seinem Freunde nach Stuttgart gereist. Ich suchte diesen dort auf und vernahm, er sei ganz heiter nach Luzern weitergefahren. In Luzern fand ich traurige Spuren. Am selben Tage, wo meiner Berechnung nach Otto angekommen sein mußte, war ein junger Mann mit leichtem Gepäck auf einem Boote nach Wäggis gefahren; unterwegs hatte ihn einer jener plötzlichen Stürme des tückischen Sees überfallen; der Kahn schlug um, und sein Lenker versank in die Tiefen. Die Beschreibung des Wirthes dort paßte genau auf Otto; auch wurde ein leichter Strohhut gefunden — ach, es ist nur zu wahrscheinlich, daß er das Letzte ist, was wir von unserem Freunde erhielten!“

Es war todtenstill im Zimmer. Wolfgang blickte voll tiefer Trauer auf das unglückliche Mädchen. Die Erinnerung an den todten Freund kam dabei so mächtig über ihn, daß er die Thränen nicht länger unterdrücken konnte.

Aber wunderbar, Rupertinens Augen blieben trocken und starr blickten sie aus ihrem bleichen Antlitz. Und da sie den Freund weinen sah, entzog sie ihm sanft ihre Hand und fast hart sprach sie: „Weine nicht, Wolf! Er ist nicht todt!“

Wolfgang fuhr empor, entsetzt über ihr Aussehen. Ihre Lippen waren fahl; alles Leben schien nach dem Herzen zurückgewichen; nur die dunklen Augen glühten im marmorblassen Angesicht. Sie blickte ins Leere. „Siehst du ihn nicht?“ rief sie. „Dort, dort ist er! O, er ist nicht todt, er ist ein Treuloser, er hat mich schmählich verlassen und ich muß sterben!“

Wolfgang fing die Erregte auf, deren Kräfte zu schwinden schienen, und aus zerrissenem Herzen rief er: „Rupertine, Rupa, um Gottes willen, sei fest, sei standhaft!“

Aber sie hatte sich schon wieder erholt. Sie wand sich sanft aus seinen Armen, ließ sich in den Sessel nieder und bat ihn, er möge sie für einen Augenblick ihren Gedanken überlassen. „Ich habe dir etwas mitzutheilen,“ fügte sie hinzu.

Karenner trat ans offene Fenster und blickte finster in den Garten, der im vollen Zauber einer herrlichen Mondnacht ruhte. Wie friedvoll lag die Natur da draußen, und hier: welch wilder Sturm im Menschenherzen!

Er trat zurück. Rupertine bemerkte seine Bewegung und winkte ihn zu sich heran. Sie zog ihn an ihre Seite und begann mit fester Stimme: „Otto lebt!“ Als Wolfgang sie unterbrechen wollte, legte sie ihm die Hand auf den Mund und fuhr fort: „Rede nicht; was du auch sagen magst, er lebt. Ich täusche mich nicht! Du kennst das Frauenherz nicht und seine hellsehende Kraft. Er lebt, aber er hat mich verlassen und das ist viel, viel schlimmer, als Tod, ich weiß es, und keine Macht des Himmels noch der Erde hält die Hand des Todes auf, die nach mir greift!“ Sie schwieg einen Augenblick. Wolfgang wagte nicht zu sprechen. „Und siehst du, mein theurer Freund,“ sagte sie dann, „diese Erkenntniß, die ich in den letzten Tagen vergeblich von allen Seiten angriff, in dem Wahn, ich könnte ihr irgendwo entrinnen, diese Sicherheit des Unterganges, dieses unabänderliche Verhängniß hat mich über mich selbst erhoben in einen Aether der Freiheit von durchsichtigster Klarheit, wo ich auf das, was ich war und that, zurückblicken kann, wie auf ein fremdes Wesen und Thun. Der Tod hat sein Siegel auf meine Stirn gedrückt, ihm bin ich geweiht, das hat mich rein gemacht. Schon gehöre ich dieser Welt nicht mehr an. In dieser Verwandlung werde ich dir, unbefangen und stolz, ein Bekenntniß ablegen, das noch gestern auf dem Wege zu den Lippen mich in aufflammender Scham erstickt hätte. Hättest du mir seine Leiche gebracht, hätte ich am Sarge meines Bräutigams zusammenbrechen können, dann wäre mein Geheimniß mit mir begraben worden; nun ist alles anders. Ich muß reden, damit ich dir nicht ein launisches, herzloses, verworfenes Kind scheine, das seinen Vater in die trostloseste Verlassenheit stößt, weil ihm nicht alles nach Wunsch gegangen ist, wohl mir, daß mir die Rede leicht wird!“

Sie hielt inne und machte Wolfgang ein Zeichen, nicht zu reden. Sie faltete die Hände und sah bald auf diese, bald versenkte sie den Blick in unbegrenzte Weiten. Wie sie so kraftlos in den Sessel zurücklehnte, schien es Wolfgang, als sei alles Leben schon aus ihrer holden Leiblichkeit gewichen und halte nur noch in den Augen eine kurze letzte Kraft.

„Es ist sonderbar,“ fuhr sie dann fort, „wie mich die Hölle, in der ich in diesen letzten Wochen lebte, gereift hat. Ich bin noch so jung, fast noch ein Kind, und komme mir nun doch, wenn ich auf das Vergangene zurückschaue, vor wie eine Greisin, die den Enkeln Geschichten erzählt. Ich habe ein geistiges Leben geführt, herrlich, wie je eins gelebt wurde. Nicht umfassendes Wissen, nicht Gelehrsamkeit war mein eigen: ich hasse die Vielwisserei und das mühsame, wurmartige Herumkriechen im Moder vergangener Jahrtausende und zwischen armseligen Kleinigkeiten. Mein geistiges Leben war ein freier Genuß, die volle Bethätigung eines gesunden, mächtigen Organs, das selige Bewußtsein geistiger Kraft. Ob ich eine Blume betrachtete oder in stillen Sommernächten einen einsamen Gang durch den funkelnden Sternenhimmel machte, immer hatte ich das Gefühl müheloser Bewältigung, Ernteluft ohne Saatmühe. War mir der Inhalt eines Buches verschlossen? Ehe ich's aufschlug, hatte ich die Gewißheit, daß die Schwingen des Geistes mich so hoch trügen, wie den Schöpfer des Werkes. Ich verkehrte mit den Genialen aller Zeiten wie mit meinesgleichen. Nirgends bin ich im Fluge mit ihnen erlahmt!

„Aber wäre dies alles möglich gewesen ohne ein heißes Blutleben voll Sturm und Drang? Schon in der Anlage war eins durchs andere bedingt; in der Entwicklung wuchsen beide und ungezügelt wollte mein Blut, weil ich volle Freiheit hatte. Mir fehlte der tägliche, stündliche Umgang mit meiner Mutter, der einschmeichelnde Zwang eines geliebten, treuen, zartfühlenden Frauenherzens.“

Sie schwieg einen Augenblick, dann fuhr sie in derselben ruhigen Weise fort: „So kam die Stunde, wo ich ganz bebend auf den Mund geküßt wurde — von ihm!“

Und wieder schwieg sie, dann sagte sie fest: „Ich hatte ein Brandmal, ich habe es nicht mehr!“

Und die Augen auf Wolfgang richtend, der in athemloser Beklommenheit ihren Worten folgte, sagte sie: „An diesem Tage lasen wir nicht weiter. Ich bin gefallen, aber ich habe mich aufgerichtet, und kein Stäubchen haftet mehr an meinem Feierkleide; der Wind, der von dort herüberweht, wo keine Angst und kein Geschrei mehr ist, hat es gereinigt! Lebe wohl, Wolfgang, wir sehen uns nicht wieder.“

Karenner fühlte sich wie gelähmt und ohne einen einzigen klaren Gedanken. Ein dumpfes Stöhnen entrang sich seiner Brust. Aber die Betäubung konnte bei dem festen, besonnenen Manne nicht lange anhalten. Er entzog das Ereigniß mit starker Hand seinem Gefühlsleben und trat ihm gegenüber. Er sann nur noch auf Hülfe in der großen Noth. Er erhob sich rasch, und beide Hände Rupertinens ergreifend, sprach er: „Uebereile nichts, Rupa. Das ist zunächst alles, was ich von dir erflehe!“

Sie lächelte matt und antwortete: „Nein, Wolfgang, es muß sein; störe mich nicht in meinem Entschlusse und frage auch nichts mehr, es muß sein!“

Und träumerisch sagte sie noch einmal leise und langsam: „Sieh, Wolfgang, es muß sein.“

Dann erhob sie die Stimme und sprach: „Ich verachte alle kleinen, armseligen Mittel. Ich habe großartig gelebt; alle durstigen Organe, die den Menschen erst zum Menschen machen, habe ich an Quellen genährt, die übersprudelten von Fülle. Meine Liebe erglühte in einer Nacht und lebte eine Nacht, wie jene Kaktusblüthe voll Farbenpracht und sinnverwirrendem Dufte. Ich will diesem Leben keinen kleinlichen Abschluß geben. Ich verlange nach der einzigen Sühnung meiner Schuld, und, glaube mir, Wolfgang, der Strom dieser Sehnsucht ist nicht mehr zu hemmen.“

„Hast du mich lieb, Rupa?“ fragte Wolfgang mit halberstickter Stimme.

Sie sah ihn mild an und antwortete ruhig: „Du bist mein edler Freund, den ich verehre, wie Niemand auf dieser Welt.“

„So wirst du mir eine letzte Bitte gewähren, Rupa? Ich darf dich noch einmal sehen?“

Nach einigem Nachdenken sagte sie: „Aber es muß bald sein!“

Er küßte ihre bleichen Lippen und ging.

4.

Karenner sank zu Hause fast zusammen. Sein Kopf glühte, sein Gehirn arbeitete in rasender Hast. So seltsam kam ihm alles vor, so unglaublich, so aus Rand und Band fluthend, daß er sich von einem wüsten Traum befangen glaubte. Allmählich ward er ruhiger; er erkannte klar, daß das tiefe Weh in seiner Brust eine unabänderliche Thatsache sei. Schmerzvoll übersann er Freude und Sonnenschein der letzten Tage und nun den Sturz seines inneren Glückes, und dazwischen rief ihm sein Gewissen zu: hilf, besinne dich, es muß sich ändern lassen, Rupertine muß gerettet werden, sie darf nicht sterben.

Und während er so sein Hirn zermarterte, Pläne entwarf und umstieß, dabei nur von dem Gedanken gejagt, daß er sogleich einen Ausweg finden müsse, blitzte es plötzlich in ihm auf. Ein nie gedachter Gedanke war es; entsetzt schreckte er zuerst vor dieser Vorstellung zurück. „Ja, das konnte helfen, das mußte helfen, aber es war ein grausames Mittel! Sein Leben mußte sich an diesem Punkte wenden, und Rupertine, die arme Rupertine wurde gewaltsam weggerissen von ihrem gesuchten Frieden, aber sie blieb doch, sie brachte nicht entsetzliches Leid über ihn und den alten Vater.“

Er sprang empor, riß das Fenster auf und athmete die kühle Nachtluft. Noch wußte der alte Gelehrte nichts von der Verlobung seiner Tochter, und diese Tochter liebte den Vater unaussprechlich. Durch ihn mußte er auf sie einwirken; aber mit Worten war nicht zu helfen, es mußte etwas geschehen, eine greifbare Thatsache mußte vor sie treten, eine frohe Hoffnung des alten Vaters mußte vor ihr stehen, die sie vernichten würde durch ihren verzweifelten Schritt, den Armen vom höchsten Glücke in unsagbaren Jammer stürzend. Darauf baute er: ein ungeheuerlicher Plan stand vor ihm, ungeheuerlich für seine Denkart und die Verhältnisse, in denen Rupertine sich befand. Er hatte sich sein Leben ausgedacht und eingerichtet nach seinen philosophischen Grundsätzen: er wollte, ungefesselt durch das Glück eines schönen Familienlebens, seinem hohen Ziele zustreben, geistig arbeitend und Hand anlegend für das Wohl der Menschheit, er fühlte sich über dem Leben des Tages stehen, und während ein inniges Mitleid mit der Menschheit ihn erfüllte, hatte er den Gedanken, einem Weibe sich hinzugeben, längst von sich gewiesen. Dort lagen seine Bücher, seine Arbeiten: ein neues Gedankensystem war da fast ausgeführt, ein hohes Vermächtniß für die leidende Menschheit! Und sein Kern hieß: helfen, aus Noth zu klarster Einsicht in die Nichtigkeit dieses Lebens, zur geistigen Erhebung über dieses Dasein! Und überall, auf jeder Seite tönte der andere Gedanke hindurch, bald nur leise anklingend, bald mächtig dröhnend: du sollst und mußt entsagen dem irdischen, scheinbaren Glück der Liebe: du sollst das Weib fliehen, nicht um des Weibes willen —, um des Menschengeschlechtes willen! Du sollst nicht neue Geschlechter hervorrufen zum Leid dieser Welt!

Dort lag sein Lebenswerk, und nun war es vernichtet! Er selbst, der Verkünder der neuen Wahrheit, ward abtrünnig, das System war druchbrochen, sein ganzes Leben drehte sich rückwärts!

Und Rupertine? Eben hatte sie ihr Geständnis abgelegt: mit dem leidenschaftlich erfaßten Geliebten leben oder in Scham über die Untreue an sich selbst durch den Tod sich befreien! Wie konnte sie einem Anderen angehören, sie, die die Umarmung des Bräutigams nur ertragen konnte in dem Gedanken, frei nach ihrem Willen zu handeln? Und jetzt gar, in ihrem Schmerz über seine Untreue, sie mußte aufspringen und davonstürzen, in den Tod, wenn sie hörte, was er verlangte.

Und nun doch ihre Liebe zum Vater und die tiefe Verehrung für ihn selbst. Sie wußte, wie er dachte und kannte seine Anschauungen. Sie mußte im Augenblick erkennen, warum der von ihr geachtete und geehrte Mann so handelte: sie wollte er erretten, indem er sich opferte, und dem Vater wollte er sie erhalten. Sie mußte sofort verstehen, daß es ein Opfer war, das er brachte, eine Verleugnung aller seiner Grundsätze und Lebensanschauungen, eine Selbstverleugnung auch ihr gegenüber, die eine Gefallene, eine Entehrte in sich sah. Und sie mußte fühlen: auch du mußt ein Opfer bringen, wenn er es bringen konnte! So mußte sie fühlen und handeln, er kannte ihren edlen, herrlichen Sinn. Wenn dieser Schritt nicht Rettung brachte, war alles, alles verloren.

Er trat zurück vom Fenster, vor das Bild seiner Mutter. Lange blickte er die greise Frau an, die da so mild auf ihn heruntersah. „Hüte sie, schütze sie“, das waren ihre letzten Worte gewesen. Ja, er wollte sie schützen, er wollte die Lebenverlangende am Leben erhalten, selbst mit diesem Opfer. Der Blick der Mutter schien ihm sein Vorhaben zu weihen. „Es soll also sein“, sprach er leise vor sich hin, während zwei schwere Thränen ihm über die bleichen Wangen rannen.

Er legte sich nieder, und während die mannichfaltigsten Bilder an seiner Seele vorüberzogen, schlummerte er ein. Früh erwachte er, wunderbar gestärkt durch den beruhigenden Schlaf. Er übersah die Lage noch einmal: alles war klar und aus seinen Augen blickte wieder das alte, milde und ruhige Licht. Als die Sonne höher in ihrer Bahn gestiegen war, machte er sich auf und verließ langsam das Haus. Am Gartenthor wendete er sich noch einmal um und sandte einen warmen, fast zärtlichen Blick auf sein friedliches, grünverstecktes Heim zurück; wehmüthig schien es ihm zuzulächeln. Aber dann ging er mit festen Schritten durchs Thor und begab sich nach Rupertinens Wohnung.

Er fand, wie er erwartet hatte, den alten Gelehrten mit der Tochter beim Frühstück. Der Alte, ein kleiner, schmächtiger Mann mit langem, schneeweißem Haar und freundlichem Angesicht, schien herzlich erfreut. „Sieh da,“ rief er, sich erhebend, „unser Naturforscher, unser Philosoph! Das ist schön, sehr schön, daß man dich wieder einmal sieht, Wolfgang. Wie geht's denn, Lieber?“ sagte er und rückte seinen Stuhl herbei.

„Gut, lieber Oheim, wie immer,“ entgegnete Wolfgang.

„Immer derselbe, immer derselbe,“ sprach der Alte behaglich und nahm eine Prise. Wohlgefällig betrachtete er die kräftige Gestalt, das männlich-ruhige Antlitz des Gastes. „Immer derselbe frohe Gleichmuth, die köstlichste Frucht aller Philosophie, auch der pessimistischen,“ fügte er lächelnd hinzu. „Wie sagt doch Horaz?

„Aequam memento rebus in arduis

Servare mentem; non secus in bonis

Ab insolenti temperatam

Laetitia!“1)

Ja, ja, die alten Stoiker hatten's erfaßt.“

„Du schaust mir doch nicht tief genug ins Herz, lieber Oheim,“ sagte Wolfgang. „Der Gleichmuth ist seine Maske in diesem Augenblick; Unruh ist mein Theil!“

Rupertine schaute auf.

„Ei, ei, was gibt's denn?“ fragte der Alte. Und freundlich fügte er hinzu: „Ich wäre glücklich, könnte ich dir in etwas helfen. Es wäre der erste Dienst, den ich dir leistete, und ich schulde dir so viel. Wie hast du mich mit der alten etrurischen Vase — ein Unikum, ich versichere dir, ein unschätzbares Unikum — wie hast du mich da kürzlich erst wieder erfreut! Stunden, Tage, Wochen, Monate Arbeit und Freude habe ich daran. Ja, 's ist eine harte Nuß für die Archäologen, aber wir haben Geduld und gute Zähne, wir Philologen, ich knacke sie, und es wird ein Ereigniß sein für die archäologische Welt!“ Er rieb sich vergnügt die Hände und schnupfte dann mit Behagen.

Wolfgang sah auf Rupertine. Ihre Blicke begegneten sich. Der seine deutete auf den Vater. Sie verstand, was er meinte und schloß müde die Augen.

„Ja, lieber Oheim,“ sprach Wolfgang, sich zu dem Gelehrten wendend: „ich verlange kein kleines Geschenk von dir, ein werthvolles Kleinod will ich von dir haben!“ Er hielt an: der Alte blickte gespannt auf ihn, Rupertine ward aufmerksam. Jetzt stand er vor dem verhängnißvollen Wort. Sein Herz klopfte, seine Hände fingen an zu zittern, er mußte alle Kraft zusammennehmen. Es mußte sie ja wie ein Blitzstrahl treffen. Er sprang auf: „Oheim, ich komme, ich bitte, ich bitte dich, ich werbe um die Hand deiner Tochter!“

Es war gesprochen.

Eine Stille folgte. Der Alte starrte Karenner an, als habe er eine alte Inschrift entdeckt und ahne, daß damit alles, was er bis dahin wußte, zusammenstürze; Rupertine wollte aufspringen, sank aber mit einem unterdrückten Aufschrei in den Sessel zurück. Wolfgang eilte an ihre Seite und sie fest umschließend, flüsterte er hastig: „Ich habe dir den Weg zum Grabe verrannt! Ohne Opfer, hörst du, ohne Opfer! Dur bringst es, du mußt es bringen, um des Vaters willen. Du mußt, hörst du, du mußt!“

Der Alte hatte sich erhoben und trat heran. „Aber Kinder, ist's denn möglich?“ sagte er. „Ihr Schelme, ihr Heimtücker, ihr Verräther! Solche Fäden werden hinter dem Rücken des arglosen Vaters gesponnen? Ja, und wie ist das mit dem jungen Düßfeld? War mir's doch, Rupa, als sei dir der Adonis, der schöne Antinous, Wolf, hat er nicht denselben Kopf, wie der Liebling Hadrians? Beim Apoll, er hat den Kopf des Antinous! Doch ja! war mir's doch, als habe der junge Künstler dein Herz gewonnen. O, wer sieht einem Weibe ins Herz! Und du, Wolf, der Pessimist! der Misogyn! was soll ich denken, was soll ich sagen? — doch da helfen freundlich die Alten:

„Tu, deorum hominumque tyranne, Amor!“2)

Ei, seht doch, wie merkwürdig, wie wunderbar!“

„Ja freilich, Vater: hominumque tyranne,“ sagte jetzt Wolfgang und versuchte, heiter zu lächeln, während es ihm im Herzen ganz anders lachte: häßlich, höhnisch: Amor tyranne! Ja, das hatte einen Sinn, so ganz anders, als der Alte meinte.

„Ja, Vater, er hat uns bezwungen trotz aller Grundsätze, meine Rupa und mich! Wir bitten um deinen Segen, lieber, guter Oheim!“ Er fühlte, wie eisig kalt Rupertinens Hand war, wie sie zitterte. Unendliches Mitleid erfaßte sein Herz, aber er kam sich vor, wie der Arzt nach der schweren Operation: der Schnitt war geschehen, und nun galt's, alles zu vollenden.

„Ich preise die Stunde, da mir solches Glück widerfahren ist!“ rief der Alte. „Ach, welche Freude, welche Freude in meinem Alter! Und wie schön der Gedanke: nun bleibt meine Rupa hier in der lieben Heimath. Kein Jason entführt sie mir; ich kann dich täglich sehen, täglich wieder mich an dir erfreuen, mein liebes, herrliches Kind, meine duftige Rose, meine Perle!“ Er trat rasch zu ihr und küßte ihre Stirne.

„O Wolfgang,“ sprach er und reichte dem verehrten Manne die Hand, „daß deine liebe Mutter diesen Tag nicht mehr erlebte! Ach, wie hat ihr gutes, treues Herz diesen Gedanken gehegt, wie hat sie sich an ihm erwärmt und gelabt in ihrem Leiden, sie hat nach dieser Verbindung gelechzt, ja, gelechzt, wie der Hirsch nach frischem Wasser. Ach, wie glücklich, wie glücklich macht ihr mich, meine Kinder!“

Er umarmte gerührt den Neffen. Rupertine hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt. Wolfgang wandte sich zu ihr und flüsterte bewegt: „Muth, liebes Kind, Muth gefaßt, es konnte nicht anders sein, als so!“

Der Gelehrte ward nun erst aufmerksam auf Rupertinens Verhalten. Er trat wieder an sie heran. „Aber was ist dir, Kind?“ fragt er besorgt. „Was hast du? Du weinst? Süßes, kindisches Mädchen, was soll das heißen?“ Er streichelte ihre Wangen. „Aber so war mein kleiner Liebling immer: in tristitia hilaris, in hilaritate tristis!3) Ja, ja, wie die Mutter, die gute, liebe, treue, erregte Mutter! Wie lange ist's schon her! Aber nun weg mit den Thränen! Komm', Rupa, umarme den frohen, glücklichen Vater und dann den Bräutigam! Thränen der Liebe, vom Freunde getrocknet,“ citirte er heiter.

Rupertine erhob sich und barg, laut aufschluchzend, ihr todbleiches Gesicht an der Brust des Vaters; nein, sie konnte ihn nicht vernichten durch das Wort: „Lüge, alles Lüge und Trug!“

Der Alte war ganz bestürzt. Er wußte sich das Benehmen Rupertinens doch nicht recht zu erklären. Karenner kam ihm zuhülfe. „Laß sie,“ sagte er, mit der Hand zärtlich über ihr Haar streichend, „sie ist so heftig bewegt! Deine innige Freude, lieber Vater, mag sie so besonders rühren und ergreifen. Die sonne wird bald wieder ihr liebes Gesicht erhellen. Ich verlasse euch, ihr mögt euch zunächst gehören, ich komme bald wieder herüber!“

Er küßte ihre wie leblos herabhängende Hand, nickte dem guten Alten freundlich zu und verließ leise das Zimmer. Draußen drohte ihm einen Augenblick die Kraft zu schwinden; er mußte sich an dem Treppengeländer festhalten. Er athmete tief auf; aber eine Stimme in ihm sprach: „Es ist erreicht, sie ist gerettet, ihrem Vater erhalten.“ Und wie Tröstung klang es in ihm:

„Auf solche Opfer streuen

Die Götter selbst den Weihrauch.“

Er hoffte auf eine glückliche Lösung aller Wirrnisse. Ein anderer Mann kehrte er in sein stilles Haus zurück.


II. Kapitel

„Ich untersuchte nicht — ich fühle nur.“

Goethe, „Iphigenie“.

1.

Die Nachmittagssonne hatte einen großen Theil der Fremden eines Hotels in Sorrent auf die hohe Terrasse gelockt, die sich steil über dem Meere erhob. Es war dort so warm und mild wie im nordischen Frühjahr, obgleich der Januarschnee die Kuppe des Vesuvs bedeckte und in den schattigen Einschnitten der Sorrentiner Berge noch der Reif der vergangenen Nacht lag. Der Himmel war vollkommen rein, und keine Welle kräuselte das blaue, spiegelglatte Meer.

Ganz dicht am Geländer der Terrasse lehnte in einem bequemen Sessel eine junge, schwarzgekleidete Frau. Sie sah bleich und leidend aus; ihr Blick schweifte träumerisch nach Neapel hinüber und nur manchmal, wenn sie das Marktschiff in der Ferne entdeckt zu haben glaubte, leuchtete das Feuer ihrer Augen auf.

Es war Rupertine. Die Fremden hielten sich ehrfurchtsvoll in geziemender Entfernung von ihr; wußte man doch, daß der Gatte dieser trauernden Frau heute morgen mit dem kleinen Sarge, der die Leiche ihres Kindchens barg, nach Neapel hinübergefahren war, um ihn dort beizusetzen. Das Kind, die Frucht ihrer einzigen heißen Liebesstunde, war ihr geschenkt und wieder genommen worden, ein flüchtiger Gast auf Erden, ein verschwebender Schatten wie ihres Herzens Glück.

Während sie noch so ruhte, in dem Scheiden des Kindleins den Abschluß ihrer glühenden Herzensliebe bedenkend, trat der Wirth rücksichtsvoll an sie heran und legte zwei Briefe auf das Tischchen neben ihrem Sessel. Sie achtete kaum darauf und erst nach einiger Zeit wandte sie sich zu dem Tische und griff nach den Briefen. Ein Blick auf die Aufschrift des ersten und ihr Körper zuckte zusammen, wie vom Blitz getroffen; eine brennende Röthe loderte über ihr Gesicht, sie sah noch einmal darauf, es war wirklich so, das Herz hämmerte ihr in der Brust, ihre Hände bebten, das waren die Schriftzüge Otto's. Sie schloß die Augen, die Besinnung schwand ihr.

Ein paar Stunden nur saß sie so. Dann faßte sie den Brief und steckte ihn rasch zu sich. Die Zähne in die Lippen pressend, griff sie nach dem anderen: das war die Hand des guten Vaters! Sie riß die Umhüllung hastig auf und überflog den Inhalt, es war ein klagender, trauriger Brief. Der Vater fühlte sich so unglücklich über die lange Abwesenheit seines einzigen geliebten Kindes, so einsam und verlassen, und infolgedessen litt auch sein Körper. „Ich bin schwach und elend, meine Seele ist von Todesahnungen erfüllt,“ hieß es da. „Kommt, kommt, liebe Kinder,“ so schloß er, „zu Eurem alten Vater, der ohne euch noch früher ins Grab sinken muß.“

Rupertine erschrak heftig; das Blatt sank ihr aus der Hand. Unheil über Unheil brach auf sie herein, sie fühlte, wie ihr die Thränen in die Augen traten; ach, sie war so hülflos, so unglücklich! Sie drückte ihr Tuch gegen die Augen und weinte. Da hörte sie Schritte, sie sah rasch auf, Wolfgang stand neben ihr. Sie faßte seine Hand und deutete auf da Blatt am Boden. Er bückte sich rasch und hob es auf. Als er es gelesen hatte, sprach er: „Komm, liebste Rupa, beruhige dich, des Vaters Zustand kann so schlimm nicht sein, wie es da geschrieben steht.“ Sie nahm seinen Arm und ging mit ihm nach ihren Zimmern. „Liebes Kind, betrübe dich nicht zu sehr,“ sagte Wolfgang. „Der Vater mag sich in seiner ungewohnten Einsamkeit unwohl fühlen; aber ich glaube nicht, daß wir Grund zu ernster Sorge haben; du weißt ja, wie leicht er in solch düstere Stimmung geräth, wenn ihm seine Rupa fehlt. Er war ja seither so gesund und frisch! Wir haben gewiß nicht schlimmes zu befürchten, aber wir wollen ihn seinen Sorgen entreißen. Wenn es dir genehm ist, beschließen wir hier unsre Reise und machen uns auf den Heimweg; ich hätte dich gern noch nach Rom geführt, aber laß uns diesen Plan aufgeben, der Vater wird uns für diese Entsagung danken.“

„Guter, theurer Mann!“ sagte sie und drückte ihm die Hand. „Ach, du bringst mir ja immer Beruhigung und milden Trost. Ich weiß, was ich dir nun an Freude und Genuß nehme, aber mein Herz sehnt sich auch nach der Heimath, nach dem Vater, weg von hier! Ja, wir wollen reisen, so schnell es möglich ist, komm!“

„Richte denn alles her, Rupertine,“ entgegnete er; „ich besorge den Wagen; wir können den Abendzug noch benutzen. In zwei Tagen sind wir beim Vater!“

Er küßte sie und eilte hinweg.

Rupertine wartete lauschend einige Minuten, dann zog sie den Brief hervor, erbrach ihn mit zitternder Hand und las.

„Geliebteste!

Keine Klagen will ich hier aussprechen; noch habe ich keinen Grund dazu: noch belebt mich die Hoffnung! Aber rein muß ich dir erscheinen. Meinen Antheil an dem entsetzlichen Unglück, das mit eisernen Händen vernichtend in unser Leben gegriffen hat, will ich schonungslos bloßlegen: er wird fast verschinden vor der grausamen Wirksamkeit der feindseligen Macht, die über unser Geschick entschieden hat.

Die letzten Tage unsres Zusammenseins erfüllten mich mit der größten Besorgniß. Die wilde, maßlose Heftigkeit unsrer Herzen, die ich deutlicher als je erkannt hatte, ließen mich in eine gewitterschwüle Zukunft blicken. Aber auch in meinen Befürchtungen war ich maßlos, wie ich bald erkennen mußte. Aber damals durchwachte ich in Furcht vor einer unglücklichen Zukunft, vor einem verfehlten Lebensglücke ruhelos die Nächte; unstet und betäubt irrte ich umher, und dabei bäumte sich in mir der ungezügelte Trieb nach Freiheit empor; ich fühlte mich unterjocht, eingeengt, beschränkt von Dir, von Dir — meiner Rupa! Ach, ich schwöre Dir bei dem Heiligsten, was ich kenne, bei meiner Liebe zu Dir: nie, nie dachte ich daran Dich zu verlassen, nicht einen Augenblick, aber ich mußte meinem ungestümen Herzen die Möglichkeit verschaffen, sich zu beruhigen: ich konnte ja nicht mehr klar sehen: ich verwirrte alles: ich wollte in ein paar Tagen mich und Dich wieder finden, fern von Dir, in anderer Umgebung, frei von dem düsteren, unseligen Kreise wahnsinniger, thörichter Einbildungen. Ich reiste ab, nach Baden-Baden, zu einem Freunde. Warum ich nicht wenigstens geschrieben habe? Ich folgte dem verführerischen Wahne, die abschiedslose Entfernung würde Dich meinem Willen gefügiger machen; durch Angst wollte ich Dich bezwingen, ich unseliger Thor, der ich war!

Ich ging von Baden-Baden nach Stuttgart, von hier nach Luzern. Ich kam noch nicht zur Vernunft, ich reiste weiter, nach Tirol. Auf dem Wege von Bregenz nach Feldkirch lockte mich eine seltene Alpenblume. Ich wollte sie für dich brechen; der kindische Gedanke, die mit dem Abpflücken verbundene Gefahr müsse der Blume für Dich einen hohen Werth verleihen, verführte mich, den steilen Abhang hinab zu klettern. Ich hatte die Blume noch nicht erreicht, da glitt ich aus und stürzte an der Felswand ab.

Was ich jetzt berichte, habe ich von Anderen erfahren. Ein Jäger fand mich, schaffte mich mit großer Anstrengung hinauf und brachte mich zu seiner Familie in Hohenems. Ich war schwer verletzt, man besorgte Aerzte; eine Operation ward vorgenommen. Lange lag ich ohne klares Bewußtsein: bald im Fieber, bald in völlig empfindungslosem Zustand. Nach Monaten erst wurde mein Denken wieder frei. Dein Bild erglänzte in wunderbarer Schönheit vor mir. Wie ein Ruf des Meisters der Gesellen Hände befeuert, so hatte Dein Bild alle heilenden Kräfte in mir wachgerufen. Nach acht Tagen trat ich, freilich unter dem lebhaften Widerspruch des Arztes, die Heimreise an.

Während der Fahrt wollten wohl vereinzelt Bedenken in mir aufsteigen, indessen die Grundstimmung meiner Seele war Heiterkeit, Hoffnung, Vorgefühl eines fröhlichen Wiedersehens, und in diesem lichtvollen Aether verschwand alles Trübe und Beängstigende.

Auf der letzten Station vor unserm stillen Heimathstädtchen stieg Freund Ludmer zu mir in Coupé. Als er mich gewahrte, ward er blaß, als sähe er ein Gespenst. Er konnte zuerst nicht reden; endlich fing er an, und ich erfuhr, daß man mich todt glaubte, daß man mich betrauerte, das alles konnte ich ruhig mit anhören; aber da ich nach Dir fragte, erfolgte die vernichtende Antwort! Wolfgang Karenners Frau! Fort, in Italien!

Ich kann nicht beschreiben, was in mir vorging. Aber ich weiß, daß ich wie rasen aufsprang und nach der Thüre stürzte; ich wollte sie aufreißen, mich aus dem dahinsausenden Wagen hinabwerfen, Ludmer mußte mich fassen und mit ganzer Kraft festhalten. Ich sank erschüttert nieder.

Aber nicht lange saß ich so: die Hoffnung belebte mich aufs neue. Ich dachte mir rasch die Vorgänge aus, die sich während meiner Abwesenheit abgespielt haben mochten — und ich hoffte, hoffte!

Aber ich konnte die Stadt jetzt nicht betreten. Ich fuhr weiter, nach Frankfurt. Hier weile ich noch, in der Familie meines Vetters Richard, leidend, schwach, in entsetzlicher Spannung, aber noch nicht verzweifelt!

O Rupa, meine, meine Rupa! Ich bin zu Ende. Eines erflehe ich von dir: lege diesen Brief Wolfgang vor! Er soll entscheiden!

Ich zähle die Augenblicke bis zum Eintreffen Eurer Antwort, habt Erbarmen mit mir! Dein Otto.“

Rupertine drehte das Blatt um und las den Brief noch einmal. Dann faltete sie ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn zu sich. Kein Zug in ihrem Gesicht verrieth Aufregung; ein flüchtiges mattes Lächeln nur flog über das bleiche Antlitz. Und leise flüsterte sie: „Nicht verrathen, nicht schmählich betrogen!“

Und dann setzte sie wehmüthig hinzu: „Mir erkoren — mir verloren!“

2.

Am Abend reiste das Paar nach der Heimath. Als sie im Städtchen angekommen waren, fanden sie den alten Gelehrten bei ziemlichem Wohlbefinden zuhause: Karenner hatte richtig vermuthet. Des Vaters trübe Ahnungen lösten sich, da er seine geliebte Tochter wieder in der Nähe wußte. Rupertine war innig erfreut, und tief befriedigt hielt sie ihren Einzug in Wolfgangs freundliches Landhaus.

Noch am Abend dieses Tages schrieb sie an Otto: „Du hast recht, Geliebter: Dein Antheil an unserm Verhängniß ist verschwindend klein. Ich habe Dir nichts zu verzeihen. Und auch ich will, wie Du, nicht klagen.

Ein unaussprechliches Glück hat dein Brief mir gebracht: die Gewißheit, daß Du mich liebst wie vordem! Daß Du lebtest, ahnte ich, wußte ich. Aber ich hatte den entsetzlichen Gedanken: er hat Dich verlassen und Du bist um Deine Ehre betrogen, von ihm, dem Du, von Liebe und Leidenschaft bethört, Dich ganz hingabst! In Schande und Schmach verkommst Du! Unter diesem Stachel blutete mir das Herz unaufhörlich. Nun bin ich davon befreit.

Aber dies ist auch die einzige Veränderung, die Dein Brief bewirken konnte. Meine Verbindung mit Wolfgang ist unauflöslich!

Er hat mich vom Tode errettet — er hat ein ungeheures Opfer gebracht —, und ich werde seine treue, hütende Hand nicht mehr lassen.

Glaube nicht, daß ich ihn liebe, wie ich Dich liebte — und noch liebe. Meine Achtung und Verehrung hat sich im Zusammenleben mit ihm noch gesteigert; Vater und Bruder ist er mir gewesen und nun ganz geworden. Und meine Liebe zu Dir? Sie konnte nicht tiefer werden — aber sie hat sich verändert, weil der Boden, dem sie entsproß, ein anderer geworden ist. Es ist etwas in mir gebunden, woraus sie ihre Nahrung sog; das hat die Farbe der Blüthe gewandelt. Aber sie steht noch in meinem Herzen, diese Blüthe: seelenvereinende Liebe für Zeit und Ewigkeit.

Eine Mauer ist zwischen uns errichtet, undurchdringlich, unübersteigbar. Wir sind mit Ketten des Zartgefühls gefesselt, die nicht mehr zu zerreißen sind.

Und wäre in mir, wäre in ihm kein Hinderniß, so müßt' ich doch an den Vater denken. Ich habe einmal vor ihm lügen müssen — nun bin ich gebunden für immer.

Heute erst wird Wolfgang Deinen Brief lesen. Und wenn er entschieden hat, soll er auch dieses Schreiben sehen. Seine Entschließung weiß ich im voraus.

Lebe wohl, mein Geliebter.“

Als sie geendigt hatte, schritt sie durch das Haus und begab sich dann nach dem Speisezimmer.

Rupertine richtete mit Sorgfalt den Theetisch her — sie wollte von den ersten Stunden an nichts von ihrer Hausfrauenpflicht versäumen. Der edle Mann sollte wenigstens die wohlthuende Ruhe geordneter Häuslichkeit nicht entbehren in dieser Ehe, die er sich aufgezwungen hatte. Wolfgang verrieth herzliche Freude, als er eintrat und in der anmuthigen Ordnung die Hand Rupertinens erkannte.

Ein Gefühl ruhigen Behagens kam über ihn; nun mochte denn das stille weiße Haus, in dem er so friedlich gelebt hatte, zwei solcher Bewohner unter seinem Schutze nehmen.

Als sie nach Tisch in die Bibliothek getreten waren und Wolfgang einige prächtige Kunstblätter vor Rupertine ausgebreitet hatte, lehnte sie sich in den Sessel zurück und sagte: „Wolfgang, ich muß dir eine Mittheilung machen! Hier ist ein Brief — Wolfgang, von Otto!“

„Rupertine!“ rief er.

„Er lebt. Ich wußt' es ja.“

„Er lebt, der liebe, gute, herrliche Freund — dem Himmel sei Dank!“

Er griff nach dem Blatte. Während er las, zogen Schatten über sein Angesicht. Zuletzt legte er den Brief schweigend nieder. Seine Augen blickten traurig und theilnahmsvoll auf Rupertine.

„Welch unglücklicher Zufall und welch unglückselige That von uns!“ rief er aus. „Aber, liebste Rupa: du weißt, es war die einzige Rettung für dich damals. Und du weißt auch, daß ich's nur darum that. Der Brief erfüllt mich mit tiefer Trauer; ich wollte dir damals den Weg zum Tode verrennen, nun habe ich dir den Weg zum höchsten Herzensglück verrannt; ich bin das einzige Hinderniß zwischen euch! Nicht ich, wie Otto meint, kann entscheiden, du mußt das Wort sprechen — und es ist gesprochen! Ich weiß ja, du liebst ihn mit derselben Innigkeit und Leidenschaft wie früher, unsre Ehe ist eine Scheinehe. Dein Glück steht auf dem Spiele, und selbst, wenn du mich lieben könntest, wie du ihn liebst, du fändest nicht ihn in mir: nicht seine jugendlich leidenschaftliche, ungestüme, wilde Liebe, nicht deinen Otto. Und eine andere Liebe darf ich dir zum Ersatz nicht bieten: wenn dein Herz lieben soll, muß es lieben wie er! Ja, Rupa, es war ein schönes Bild meines Lebens, das ich vorhin im Geiste sah: ein geistiges Gemeinschaftsleben mit dir; unser Dasein erhellt von freudiger Antheilnahme des Einen am Anderen, ein lebhaftes Mittheilen und Anregen, ungestört und ungetrübt von Leidenschaften, von Erregungen. Wie ein Bruder dachte ich mit dir zu leben! Aber noch ist das ein bloßes Bild, vor der Wahrheit deiner Liebe muß es vergehen; und was ich jetzt noch aufgeben kann, später könnt' ich's nicht mehr. Rupa, du bist frei! du kannst selbst nicht anders entscheiden!“

Rupertine hatte mit steigender Erregung seine Worte angehört. Dieser Mann in seinem Edelmuth, in seinem klaren, tiefen Verständniß ihres eigenen Wesens wuchs vor ihr zu verehrungswürdiger, heiliger Höhe. Nein, auch sie wollte eines solchen Mannes würdig sein: sie mußte ihre Liebe opfern, um ihm das Glück zu bringen, das er sich gedacht, er sollte nicht zum zweitenmal unter ihrer Leidenschaft leiden. Sie erschien sich einen Augenblick wie eine Heldin: sie glaubte die Kraft zu besitzen, auf ihre Liebe zu verzichten, um ihn aus reinem Herzen zu beglücken. Und so reichte sie ihm, ohne ein Wort zu sprechen, ihren Brief.

Als er zu Ende gelesen hatte, warf sie sich ihm an die Brust und rief: „Wolfgang, ich kann und will nicht anders entscheiden. Ich bin dein Weib und werde es bleiben!“

Wolfgang trat zurück. Er mochte die Aufwallung ihres edlen Gemüthes erkennen, die sie das aussprechen ließ. „Rupa,“ sagte er, „du bist so gut! Dein höchstes, reichstes Glück willst du preisgeben, aus Dankbarkeit gegen mich! Aber du sollst nicht. Bald wirst du anders denken, und ich werde dir's nicht vorwerfen. Ihm hattest du dein Leben geweiht, ihm gehörst du, nicht mir. Laß uns fest sein; täusche dich nicht über dich!“

Da sank Rupertine vor ihm auf die Knie, faßte seine Hand und küßte sie. Dann sprach sie ernst und feierlich: „Dein Weib bin ich, Wolfgang, edler, einziger Freund! Und sieh, hier flehe ich dich auf den Knieen demüthig an: laß mich's bleiben! Gönne mir die reine, hohe Freude, mit innigster, schwesterlicher Liebe dich zu beglücken, mein Vater du, mein treuer Bruder und Freund! Ich muß bei dir bleiben!“

Wolfgang war tief ergriffen. Wie unentwirrbar lag nun alles wieder vor ihm! Er faßte ihre beiden Hände und sah ihr tief in die schönen, von Begeisterung leuchtenden Augen. Er versuchte nicht weiter, sie von ihrem Entschluß abzubringen, aber in seiner Seele stand es fest: sie würde ihr Herz tödten, wenn sie die Seine bliebe. Dazu durfte es nicht kommen; er hoffte, Rupertine noch zu ihrem Glücke führen zu können, vor allem durch eine Begegnung mit Otto. Aber er wollte sich vorläufig fügen; wie ein Bruder wollte er mit ihr leben, bis sie selbst erkannt hätte, daß ihr Herzensglück anderswo blühe.

„Rupa,“ sagte er, sie an sich ziehen, „ich gebe dir nach. So will auch ich dir meine reinste Liebe weihen; aber wisse, daß dir deine Freiheit bleibt. Ich werde deiner Liebe nicht zum zweitenmal in den Weg treten.“

Sie umarmte ihn und sprach: „Hier gelobe ich dir, dein treues Weib zu bleiben für immer.“

Zu später Stunde noch schrieb Wolfgang an Otto folgende Zeilen:

„Liebster Freund!

Von höchster Freude ward ich erfüllt, als ich hörte, daß wir uns ohne Grund geängstigt hatten — daß Du uns nicht entrissen bist. — Ein unglückseliges Ereigniß ist inzwischen eingetreten. — Mein Herz weiß, daß ich rein und edel gehandelt habe, da ich um Rupertinens Hand warb. Ich habe sie zu meinem Weibe gemacht, um sie von Schmach und Tod zu retten. — Aber ich habe sie nie als mein Weib betrachtet und werde sie nun, da ich Dich am Leben weiß, nie so betrachten. — Ich habe ihr volle Freiheit gegeben, ich habe sie zu überreden gesucht, ihrem Herzen, das sie zu Dir zieht, zu folgen. — In edler Dankbarkeit will sie mich nicht verlassen. — Aber ich weiß, daß sie Dir zugehört, und ich hoffe, Ihr möchtet Euch dereinst doch finden. Sei standhaft und bewahre ihr Deine Liebe, wie sie Dir. — Ich beklage aus tiefstem Herzen das traurige Geschick, das über uns drei vorher beglückte Menschenkinder hereingebrochen ist. Dein Wolfgang.“

3.

Eine Zeit stillen, friedlichen Lebens schien dem so seltsam vereinten Paare nun aufgegangen zu sein. — Von Otto kam keine Nachricht mehr. — Wolfgang fing an, Rupertine in seine Welt einzuführen; er las mit ihr, er erklärte und hörte an, er berichtigte und nahm auf. Er gewann täglich tieferen Einblick in ihr reiches Gemüthsleben, er staunte mehr und mehr über den vielseitigen beweglichen Geist in dieser schönen, strahlenden Hülle. — Die Stunden des Zusammenlebens mit ihr wurden ihm Tag für Tag lieber; er freute sich des Morgens auf den Tag, der ihm mit ihr verfließen sollte, und des Abends der freundlich-heiteren Stunden, die ihm an ihrer Seite geworden waren. — Und so gewahrte er auch täglich die Anmuth ihrer Erscheinung mit immer klareren Augen: die Schönheit der verehrten Frau erblühte ihm immer holder; er fühlte wie ihm diese Menschenblume werth wurde mit all ihrem Duft und Glanz; ja er mußte sich in stillen Stunden eingestehen, daß er sie nicht entbehren möchte, und wäre sie auch unzugänglich seinen Gedanken, unfähig gewesen, geistig mit ihm zu leben. Seine Sinne erwachten, das Weib in ihr ging ihm auf; und mit steigender Unruhe nahm er das wahr, während das Leben ihm doch täglich lebenswerther erschien, da sich's so in ihm wandelte. — Mahnend rief ihm das Gewissen, die Treue gegen den Freund und gegen sich, seine Lebensanschauung, seine Grundsätze zu: hüte dich, sei fest und standhaft, du darfst nicht — und dabei redete jede Stunde, mit ihr verbracht, leise im Herzen: dürftest du — wie glücklich könntest du sein!

Rupertine lebte zuerst ein schönes, freundliches Leben mit ihm, dem sie sich geweiht hatte. — Sie glaubte in dem geistigen Verkehr mit dem bedeutenden Manne langsam die schwere Wunde des Herzens heilen zu fühlen, tausend neue Gedanken und Empfindungen gingen in ihr auf; sie wollte leben, aufs neue leben, da sie so viel Neues, Lebenswerthes kennen lernte. Wie konnte dieser Mann auch leiten, führen, deuten! — Und wie konnte er zu ihr sprechen! — Begeistert erhob sich seine Stimme, seine Augen leuchteten, wenn er vom Leid der Menschheit sprach und von der hohen Pflicht, einzugreifen, zu helfen, zu klären. —

Und wenn er mit ihr die Welt des Schönen betrat, wie sah er alles mit tief dringenden Blicken, wie schilderte er mit beredten, hinreißenden Worten! Wie konnte er sich liebevoll vertiefen in jeden Zug, in jede Linie, wie glühend die Schönheit der Gestalt erfassen und genießen! — Sie folgte, wollte folgen — aber unversehens verließen Augen und Herz den Gegenstand und wendeten sich ihm zu. — Ihn sah sie, ihn hörte sie — ihm galt Begeisterung, Erhebung, Liebe. — Ja, Liebe war das, was sie seine Hand fassen, sein Antlitz mit strahlenden Augen bescheinen ließ — Liebe war's, mit der sie sein Kommen erwartete, sein Gehen begleitete; wenn sie sein Zimmer betrat, seine Bücher durchblätterte, seine Schriftzüge beschaute: nicht mehr Achtung, Verehrung, Bewunderung — Liebe war es: sie fühlte es so klar und deutlich; so hätte sie den Vater, den Bruder, den Freund nimmermehr angeblickt. Seine Hand, die sie berührte, sein Mund, der sie küßte — diese Hand, diesen Mund fühlte sie, nicht ihre Zeichen, die sie boten. — Und wenn er sich im Hof aufs Pferd schwang, auszureiten, wie verfolgte sie jede seiner Bewegungen; wie freute sie sich seiner männlich-schönen Gestalt, seiner festen Haltung, seines Muthes, wenn er dies ungeduldige Roß bezwang. Leidenschaft erfaßte sie aufs neue — und sie rang sie nicht nieder wie er; sie wollte sie nicht besiegen. Sie war sein Weib geworden aus Noth, der Liebe entsagend — und da sie es war, warum sollte sie nicht sein wahres Weib werden? Der Geliebte war ihr entrissen; die Mauer bestand, von der sie geschrieben hatte, undurchdringlich, unübersteigbar, jetzt wie vordem. Otto wußte es und er mußte erkannt haben, daß es so bleiben werde. Sein Bild wollte in ihr verblassen. Sollte ihr glühendes Herz denn auch erkalten? Ihr Leben hinschleichen ohne Liebeslust und Liebesentzücken? Sie hatte es geglaubt; sie meinte damals, mit dem wahren Leben abgeschlossen zu haben; ein Schatten nur wollte sie noch durch das Dasein wandeln. Aber in diesem Schatten schlug ein Herz, heiß, stürmisch, leidenschaftlich. Freiheit für diesen glühenden Drang, Freiheit wollte sie — und sie wollte sein Weib sein auch vor ihm, vor dem geliebten, heiß und stürmisch geliebten Manne. Die Leidenschaft erfaßte sie mit aller Macht — und sie warf die Fesseln mit wild zufassenden Händen ab: der Feuerbrand ihrer Liebe loderte in ihrem ungestümen, nicht mehr gebändigten Herzen hoch auf.

Es war ein schwüler Sommerabend. Durchs geöffnete Fenster klang das Zirpen der Grillen; draußen schwirrten mit glühenden Lämpchen die Leuchtkäfer; ein warmer Athem erfüllte die dunkle Nacht. Rupertine hatte mit Wolfgang herrliche Kunstwerke besehen; sie meinte, noch nie habe er so begeistert mit ihr geredet. Er war so schön wie er da, vorgebeugt über die Blätter, stand; der Lampenschein färbte sein Antlitz mit reichem, warmem Lichte. Sie stand neben ihm; seine Hand hatte die ihre umfaßt, und während er sprach, umschloß er sie fester, und seine Blicke tauchten warm in ihre Augen. Er legte das Blatt, das vor ihnen lag, weg und zog sie auf das Sopha neben sich.

„Wie überglänzt die Schönheit die Welt mit Licht und Wärme,“ sagte er. „Wie die Sonne ist sie. Der Schimmer des Schönen läßt uns das Elend von Welt und Leben vergessen — nein, er vergoldet auch dies — Verklärung ist das Wort, Verklärung von Welt und Leben — durch den Schein! Ach, durch den Schein, den Trug der Sinne, aus dem schönheitsuchenden, schönheitwollenden Menschenherzen!“ sprach er halb vor sich hin.

„O, Wolfgang, und Verklärung aus dem liebesuchenden, liebewollenden Menschenherzen! Glanz, Licht und Leben aus der Liebe! Wolfgang, Wolfgang, aus der Liebe!“ rief Rupertine. Und mit wildem Ungestüm umschlang sie ihn, preßte den Mund auf seine Lippen und küßte ihn leidenschaftlich. Dann richtete sie sich rasch auf — ein heißer Blick traf ihn: „Wolfgang, Geliebtester — ich liebe dich so unendlich, so heiß, so glühend.“

Und sie umschlang ihn wieder stürmisch und küßte ihn mit dürstenden Lippen.

Wolfgang drückte sie an sich und erwiderte ihre Küsse — die lang verhaltene Gluth in ihm verzehrte für eine Zeit Denken und Gewissen.

Aber es war ein Rausch, ein Taumel. Er sprang auf, er drängte das schöne Weib von sich — der Mahner erhob drohend die warnende Stimme: „Bleibe fest, sei standhaft!“

„Rupertine, unseliges Geschick, das uns verfolgt!“ rief er. „Zurück, zurück! Das haben wir nicht gelobt, das dem Freund nicht in Treue versprochen!“

„Wolfgang,“ rief sie, „Geliebter, ich bin dein, will dein sein; mein Herz hat mich nicht übermannt — ich fühle keine Fessel mehr — ich bin frei, frei für dich und deine Liebe!“ Sie faßte nach seiner Hand.

„Du bist es nicht, Rupa, geliebte Rupa! Du nicht — und ich nie und nimmermehr! Ich hab's gelobt, heilig gelobt! Ich darf nicht! Nein, nein, ich darf nicht — und liebt' ich dich noch unendlich mehr, als ich dich liebe — es ist Sünde, Untreue, schmählicher Verrath! Ihm hast du dich ergeben, ihm gehörst du zu —, und ich werde den Freund schützen, sei es auch vor dir, du herrliches, einziges Weib!“

Er sank auf das Sopha. „Unseliges Geschick!“ rief er wieder mit bebender Stimme. „Was Allen höchstes Glück, uns ist's Verderben, Schande, Vernichtung! Aber Kraft! Fassung! O Schmach, so zu unterliegen!“

„Wolfgang, Wolfgang, Liebster!“ klagte Rupertine mit Thränen.

„Nein, nicht mehr so, Rupertine!“ rief er aus; seine Stimme klang hart. „So dürfen wir nicht weiter leben. Es ist Gift, berauschendes, tödliches Gift mit dir zusammen. Es ist in unsre Adern gedrungen — aber mag ich daran zugrunde gehen — ich darf's nicht weiter kosten. O du armer, treuer, schwer getäuschter Freund: treulos nicht du — wir, ich, der ich mich erhaben dünkte über Leidenschaft!“

Rupertine weinte laut.

„Rupa,“ sprach er nun sanft zu ihr, „meine arme Rupa! Sollst du denn nie Ruhe finden für dein armes, liebes Herz? Aber nicht Ruhe — du vergingest in dieser Ruhe, die mein Herz sich ersehnt. Nein, du sollst endlich finden, wonach du glühend strebst, was du entbehrst in deinem stürmischen, drängenden Busen, worauf du ein hohes, heiliges Recht hast: Liebe, wahre, echte Mannesliebe! Aber nicht hier, nicht von mir: Deine Leidenschaft hat dich nur verblendet — dort, bei ihm, bei dem wahr und einzig Geliebten! Ich that den erste Schritt zu deinem Verderben — ich muß dich auch erlösen von diesem unheilgebärenden, alles verwirrenden Geschick! Es war eine Lüge — und sie rächt sich bitter, schrecklich — sein Weib sollst du werden — sein Weib bist du! Sprich nicht mehr zu mir! Sage nicht mehr: mein Wolfgang, mein Gatte, mein Geliebter! Jedes Wort ist Sünde, Verbrechen gegen ihn. Ich kenne den Weg, den ich längst hätte betreten sollen. Nun aber beschreite ich ihn, und er muß zu deinem Glücke führen, zu meiner Ruhe!“

Er nahm ihre Hand, drückte sie an die Lippen und ging. Rupertine saß noch lange — ihr war, als ob ein anderer Tag nicht mehr erscheinen könne.

4.

Wolfgang war entschlossen, alles zu versuchen, um diese Ehe zu lösen und Rupertine auch äußerlich die Freiheit zu verschaffen. Er war überzeugt, daß ihre Liebe nur auf die falsche Bahn geleitet worden sei, und obwohl ihm das Herz blutete, da er daran dachte, sie hingeben zu müssen, hatte er doch, von seinem Gewissen getrieben, den Plan gefaßt, Otto zu benachrichtigen, ihn aufzufordern, er möge kommen und Rupertine aufsuchen. Er wollte dem Freunde nichts verschweigen; und er war sicher, die erste Begegnung mit dem Geliebten müsse in Rupertine die alte wahre und einzige Leidenschaft wieder erglühen lassen. Das volle Anrecht der beiden geliebten Menschen auf ihres Herzens Glück sollte durch ihn nicht vernichtet werden — er hoffte, die Zeit möge ihn aus dieser Drangsal allmählich führen, daß er wieder werde, der er war: ein einsamer Mann, das Herz von Liebe zur Menschheit beseelt, den Kopf von Gedanken erfüllt zu ihrem letzten, wahren Heile. Wohl waren seine Sinne erwacht; wohl wollte es ihn manchmal anpacken, daß er Rupertine umschlänge und sie küßte mit gleichen Küssen, wie in jener Nacht. Aber er blieb fest und bezwang die Gluth in Treue gegen den Freund.

Die peinliche Lage, in der Beide sich befanden, indem Keines das Andere jener Stunde erinnern wollte und sie doch nebeneinander lebten, ward gelöst durch die schwere Erkrankung des Vaters. Der alte Mann wurde von einem heftigen Fieber ergriffen; bald nahm die Krankheit so sehr zu, daß die Tochter in das väterliche Haus übersiedeln mußte. Ihre heftige, nun ganz erregte Natur machte sie zu einer schlechten Krankenpflegerin; aber sie wollte nicht von dem Lager des geliebten Vaters weichen, und auch ihm war der Anblick der Tochter letzter, einziger Trost. Wolfgang sah den Gelehrten schwächer und schwächer werden; er dachte der Zukunft — wie sollte Rupertine ohne ihn leben?

So schob er seinen Plan auf, er wußte selbst nicht, auf welche Zeit. Rupertine benutzte dankbar seine Dienste; ihr Herz war nun so mächtig von der Angst um des Vaters Leben bewegt, daß alles andere dagegen zurücktrat. Ein Wort mußte er immer wieder hören, das sie herzzerreißend mit unendlich schmerzvollem Blicke zu ihm sprach: „Wolfgang, er wird nicht sterben, er darf nicht sterben — jetzt nicht, o Gott, nur jetzt nicht!“

Aber es ward nicht besser. Der gute Alte starb. Mit einem wilden Aufschrei hatte sich Rupertine über des Vaters Leiche geworfen; ohnmächtig wurde sie hinweggetragen. Sie lag besinnungslos, während das Letzte, Traurige geschah. Sie konnte sich auch in der nächsten Zeit nicht erholen; Wolfgang mußte nun an ihrem Lager Pfleger sein, und mit freundlich-mildem Antlitz versah er dies Amt, während das Herz von trüben Gedanken erfüllt war. An eine Aenderung seiner Verhältnisse war zunächst nicht zu denken.

Als Rupertine so weit gekräftigt war, daß sie wieder ins Freie konnte, beschloß er, mit ihr zu reisen. Sie mußte von diesem Orte der Trauer hinweg; vielleicht konnte irgendwo eine Zusammenkunft mit Otto veranlaßt werden.

Rupertine war mit seinem Plane einverstanden. Der Tag der Abreise wurde festgesetzt, Wolfgang verließ das Städtchen, um noch einiges aus der Hinterlassenschaft des Gelehrten zu ordnen; Rupertine blieb; am Tage vor Wolfgangs Rückkehr fuhr sie nach Frankfurt. Sie wollte noch Einkäufe für die Reise machen. Sie vermuthete, Otto möchte längst die Stadt wieder verlassen haben.

Nach Erledigung verschiedener Geschäfte trat Rupertine in eine Buchhandlung. Sie suchte nach einem Reisehandbuch; man legte ihr verschiedenes vor. Sie blätterte in den Büchern, an einigen Stellen machte sie Halt und las genauer. Der Laden war besucht; fortwährend kamen und gingen Käufer. Plötzlich fühlte sie eine Hand die ihre, die lose herabhing, ergreifen. Erschrocken wendete sie sich um und starrte in Otto's todbleiches Angesicht!

Sie rang nach Athem. Sie fühlte, wie alles Blut nach dem Herzen jagte. Einer Ohnmacht nahe, lehnte sie sich zurück.

Aber rasch fand sie die Fassung wieder. Ihre Wangen erglühten, und eine heiße Lohe schlug ihr über Brust und Nacken.

Sie blickte Otto an. Seine Augen ruhten mit verzehrender Innigkeit auf ihr. Seine Lippen zitterten, als ob er sprechen wollte, aber er brachte kein Wort hervor.

Rupertine erhob sich. „O Gott,“ flüsterte sie, „warum mußte dies Wiedersehen in unser Leben treten!“

„Rupertine,“ versetzte er mit finster zusammengezogenen Brauen, „gönne mir diesen Augenblick! ich habe nach ihm mit brennendem Herzen gedürstet während der langen, qualvollen Monate, die seit dem Eintreffen eurer Nachricht verflossen sind. Ich wollte deinen Frieden nicht mehr stören — da wirft dich der Zufall in meine Bahn — und bei Gott,“ flüsterte er mit wildem Trotze — „ich lasse dich nicht wieder!“

Und dann, die Augen gegen oben gerichtet, setzte er milder hinzu: „Du bist barmherzig, Gott!“

„Laß uns gehen, Otto,“ sagte sie leise. „Wir erregen Aufsehen!“

Er ließ ihre Hand. Sie nahm eines der Bücher, und Beide verließen den Laden.

„Rupertine,“ sagte er heftig, „die eine Bitte mußt du mir erfüllen: eine Viertelstunde nur mit dir allein. Da ist ein Wagen — und vielleicht, vielleicht ist's das letzte Mal, daß ich mit dir spreche!“

Er sprach das ernst und traurig. Sie stand unentschlossen. Da hatte er den Wagen herangewinkt und den Schlag geöffnet. „Rupa, ich bitte dich flehentlich — du darfst mir diese Bitte nicht abschlagen. Ich kann hier auf der Straße nicht zu dir reden!“

Sie entschloß sich, einzusteigen.

Er ergriff ihre Hand und blickte sie stumm an. Dann sagte er: „Deinen Frieden wollte ich nicht mehr stören, so sagte ich. Das war's auch, was mich immer wieder zurückriß, wenn ich, von meinem Herzen gedrängt, zu dir eilen, mich dir zu Füßen werfen wollte mit dem Ausruf: ich kann nicht mehr! Ich kann nicht ohne dich sein! Aber eine Frage mußt du mir noch beantworten, ehe ich das Letzte thun kann: Bist du glücklich?“

Er fühlte ihre Hand zucken. Sie antwortete nicht gleich. Endlich versetzte sie: „Wolfgang ist der beste, edelste Mann auf Erden!“

„Das will ich von dir nicht wissen; ich weiß es, wie du! Ob du glücklich bist an seiner Seite, das ist's, was über mich entscheidet. Sprich, ich flehe dich an, Rupertine!“

Sie schwieg. Nach einer Weile sagte sie tonlos: „Was ist Glück? Ja, ich bin glücklich.“

„Du lügst, Rupa,“ rief er leidenschaftlich. „Und du kannst das nicht wiederholen, mir ins Gesicht! So klingt's nicht, wenn das von Herzen kommt. Nein, Rupa, ich sage dir's — du bist nicht glücklich, ich weiß es, denn ich kenne dein Herz. O, wie könntest du in solchem Leben Glück finden, da du mich liebst, da du mir Liebe gelobt hast für alle Zeit! Wie kann dein heißes, ungestümes Herz so leben? Nein, nein, jeder Tag muß dir zur Qual werden, du mußt mit allen Sinnen verlangen, aus diesem Leben zu entfliehen — an meine Brust, in die Arme deines Geliebten, der in Sehnen und Gluth nach dir vergeht. Es ist ein entsetzliches Heldenthum, das du auf dich genommen hast — du wirst zu Grunde gehen und ich mit, denn du liebst mich. Das allein ist Leben für dich!“

„Nein,“ fuhr sie auf, „ich habe ihn lieben lernen; ich ward erfaßt von Leidenschaft zu ihm in dieser Unglücksehe — ja, höre es — ich darf's nicht in mir verschließen: ich bin an seine Brust gesunken, ich habe seinen Mund heiß, glühend geküßt und um Liebe gefleht — und — und — o Gott, o Gott!“ Sie brach in lautes Weinen aus. Unendlich unglücklich blickten ihre Augen.

Otto sah sie in fieberhafter Erregung an: „Rupertine, Rupa — du hast mir die Treue gebrochen!“

Er sagte das mit verzweifeltem, schrecklichem Ausdruck.

„Otto,“ rief sie, „habe Erbarmen mit mir! Du wirst mich mit dem entsetzlichen Wort „Lüge, Lüge“ höhnend niederschmettern, wenn ich dir sage: nein. Und doch ist es so! O, ich kann dir's nicht erklären; ich mir selbst nicht. Ich weiß nicht, ob ich's selbst noch bin. Aber ich weiß das eine, Otto: ich liebe dich wie vordem; ich liebe dich mehr als vordem; da ich dich wiedersah, kam es wie Jugend, wie fernes, reines, himmlisches Glück über mich — o, und soll ich eine Schande werden vor euch Beiden — ich muß es rufen: dich liebe ich, du mein einzigster, unglücklicher, mir geraubter Mann!“

Sie umschlang ihn. Er blickte selig zu ihr auf.

„Rupa, das war der Tod — und dies der Himmel,“ sagte er leise.

„Otto, ich bin unvermögend, mich selbst noch zu verstehen. Und ich weiß nur eine einzige Rettung für dich und mich: bei hm, bei dem herrlichsten, edelsten Mann, der sich bezwang auch in jener Stunde der Leidenschaft und dich nannte, da ich ihn umschlang — er hat Hülfe, Rath und Rettung. Jetzt nichts mehr — komme zu uns — morgen — Wolfgang kehrt morgen zurück. Und nun laß mich — dort Rettung oder Tod — ich weiß keinen Ausweg mehr! Lebe wohl, Geliebter!“

Der Wagen hielt. Otto drückte ihr die Hand und verließ sie, Hoffnung im Herzen. Wolfgangs Worte standen ihm vor der Seele: „Aber ich weiß, daß sie dir zugehört, und ich hoffe, ihr möchtet euch dereinst doch finden.“ Ja, nun mußten sie sich finden oder nie mehr.

Und während dem sann der Retter; wie er sich selbst retten möchte aus dem unseligen Verhältniß, das ihn besiegen wollte.

Als Wolfgang am nächsten Tage wieder in sein stilles Haus gekehrt war, begrüßte ihn Rupertine herzlich, bat ihn aber gleich, er möge mit ihr in das Bibliothekzimmer kommen. Sie habe etwas auf dem Herzen, das sie ihm sofort mittheilen müsse.

Sie traten in das Zimmer. In demselben Raume war vor nicht allzu langer Zeit Wolfgang aufgesprungen, sich wehrend gegen seiner und Rupertinens Leidenschaft — an jenem schwülen, dunklen Sommerabend. Jetzt schien die Morgensonne hell in die kühle Gelehrtenstube; die Bücher blickten so klar und nüchtern von den Gestellen; da lagen die Bogen, auf denen sich sein System weiter ausbaute — es schien alles so leidenschaftslos, so ruhig — Wolfgang fühlte sich so angeheimelt, als ob er einen alten guten Bekannten sähe — ja, hier war seine Welt gewesen, als er noch unbeirrt still in dem lieben Raume geweilt hatte.

Rupertine bat ihn, sich niederzulassen. Sie setzte sich vor ihn und sagte, so ruhig sie konnte: „Wolfgang, ich habe Otto gesehen!“

Wolfgang durchzuckte es. War es ihm doch, als ob er, mitten in dem kühlen Raume, wo er, frei von Leidenschaft, nur seinen Gedanken gelebt hatte, rufen sollte: O, hättest du ihn nicht gesehen! Er fühlte einen Stich im Herzen. Aber im Augenblick war er auch wieder gefaßt und sagte freundlich: „Endlich denn! In Frankfurt! Der arme Freund! Wir hätten ihn längst benachrichtigen sollen. Wie geht es ihm?“

Rupertine ward unruhig. Sie hatte sich den Anfang ihres Gesprächs anders gedacht. Wie sollte sie nur beginnen? Sie hatte gemeint, ihm zu Füßen sinken zu müssen, sich vor ihm anzuklagen, aber auch um Nachsicht und Hülfe zu flehen.

„Er wird kommen!“ sagte sie.

„Otto kommt? Hieher? Wann? Wir wollen doch abreisen?“

„Heute kommt er!“

„Heute! So, also heute! Aber was ist dir, Rupa? Um Gotteswillen!“ rief er und eilte auf sie zu. Sie war bleich geworden und zitterte.

„Weg mit aller Scheu!“ preßte sie hervor. „Weg — und wenn's mich tödtet — ich muß reden — ich muß frei werden von diesem entsetzlichen Druck! Wolfgang — ich habe ihn gesehen — und an seine Brust habe ich mich geworfen, geküßt habe ich ihn — Wolfgang, verdamme mich, verachte mich — ich muß dir's sagen — ich liebe ihn, ihn, nur ihn — ich war wahnsinnig damals — ein Blick, und ich habe es erkannt. Ihn liebe ich — und mit ihm muß ich leben, und wenn du hundertmal dazwischen — o Wolfgang!“ schrie sie plötzlich auf und stürzte auf die Knie nieder, „Edelster, Reinster, Heiligster: habe Mitleid, habe Erbarmen, rette mich! Sieh, hier liege ich — ich habe dich betrogen — und hier flehe ich dich um Hülfe an, dich, den Betrogenen — ich muß zu ihm! Zu ihm, dem Armen, Unseligen, dem Geliebten! Reiße mich aus dieser Angst vor mir selbst! Ich weiß nicht mehr, ist's Schande oder Ehre; ich bin nichts mehr vor mir — aber ich weiß das Eine: ich liebe ihn, ihn, ihn, — o könnt' ich sterben, befreit von dieser gräßlichen Noth des Herzens!“

Sie hatte seine Kniee umfaßt und sag zu ihm auf, als ob der Tod von ihm kommen müßte.

Er beugte sich nieder; er faßte ihr schönes Haupt; einen Kuß drückte er auf ihre Stirn. Dann legte er die Hand sanft auf ihren Scheitel und sprach mit sanfter Stimme: „Ich segne dich, du armes, geliebtes Kind! Und möge dich mein Segen aus aller Pein und Noth erheben. Ein Vater wollt' ich dir sein, ein Bruder, ein Freund — und dein armes gequältes Herz muß zittern vor mir. Nein, mein süßes, gutes, unglückliches Kind; hier stehe ich wieder vor dir, ich selbst, der ich früher war — und jene Stunde, über der schwüle, sommerliche Leidenschaft brütete, ist vernichtet — du kniest rein vor mir; und Schmach dem, der den ersten Stein auf dich werfen könnte! Rein bist du geblieben, und ich war der Verbrecher, der dich unschuldvolles, herrliches Geschöpf auf den falschen Weg leitete! Komm, erhebe dich, du theures, unendlich theures Mädchen — komm, tritt mit mir vor das Bild der geliebten Mutter, die dich mir anvertraut hat: sieh, wie sie dich mild anlächelt: sie weiß, du bist die Reine geblieben, die du warst — und sie wird auch mir verzeihen, der ich, in reinster Absicht, dich und mich fast ins Verderben zog!“

Er hob sie auf, umarmte sie und sprach liebevoll zu der Weinenden: „Sei mir gesegnet, du Herz der Liebe, das sich verirrt hatte aus Liebe und nur aus Liebe. Arme Menschen, die ihr mit nüchternem Verstand des Herzens Glühen ersticken wollt — wir sind keine Helden, daß wir dem Zug der Leidenschaft wehren können — das Herz will sein Reicht — und deinem vielgeprüften, wild umhergeworfenen, stürmisch verlangenden Mädchenherzen sei es endlich beschert! Sinke ihm an die Brust, der edelmüthig aus deinem Kreise sich fernhielt, und verlasse den Freund, der dich mit liebevollem, wehmüthig-frohem Herzen dem Geliebten aufs neue schenken darf!“

Rupertine ruhte an seiner Brust, seinen Segen empfangend, wie die lechzende Erde den milden, tröstenden Regen.

Otto kam und sank mit der geliebten Braut dem edelsten aller Freunde gerührt zu Füßen, und da Wolfgang das endlich vereinte Paar an seine Brust zog, glaubte er die Stimme wieder zu hören, die ihm tröstend dieselben Worte zusprach wie damals, als er den unseligen Bund geschlossen hatte. Schmerzliche Wehmuth erfüllte sein Herz, aber doch auch wieder die frohe Hoffnung, daß nun der Knäuel aller Verwirrungen für immer gelöst sei. Nun erst war er wieder, der er gewesen — und nun für immer.


III. Kapitel.

„So selten ist es, daß die Menschen finden,
Was ihnen doch bestimmt gewesen schien,
So selten, daß sie das erhalten, was
Auch einmal die beglückte Hand ergriff.“

Goethe, Tasso.

1.

„Wundervolles Venedig! Süße Meerestochter mit dem schwarzen Schleier und den schwermüthigen Augen! O stolze, vom Thron gestoßene Königin, in zerlumpten Kleidern, mit verblichenem, fadenscheinigem Purpurmantel, aber voll unverwelklicher Schönheit, sei mir gegrüßt!“

Otto stand, Rupertine im Arm, auf dem Altan des Palazzo Curradin über dem Canale Grande, gegenüber der Kirche Santa Maria della Salute und rief schwärmerisch, mit leuchtenden Augen, diese Worte aus.

„Ist Venedig nicht unbeschreiblich wunderbar schön, meine süße Rupa?“ fragte er, entzückt von dem herrlichen Schauspiel, die Augen nun ihrem blühenden, schönen Antlitz zuwendend.

„Es ist wunderbar, unbeschreiblich wunderbar schön!“ sagte sie, selig vor sich blickend. Sie standen neben einander und versanken im Genuß des herrlichen Bildes. Plötzlich wendete Rupertine den Kopf, blickte Otto lange an und rief dann begeistert aus: „O, es ist unnennbar entzückend — mit dir, mit dir schönstem, herrlichstem, geliebtestem Manne!“ Sie warf sich ihm an die Brust, sie küßte ihn wieder und wieder. Wie strahlten die schönen Augen von Wonne und Glück! Ach, sie waren so selig zusammen — jetzt endlich war der Traum ihrer Phantasie erfüllt — vereint, von Schönheit und Liebe umflossen, auf dem sonnbeglänzten, farbenreichen Boden Italiens. Aber es war mehr, als sie sich je ausgedacht hatten — es war klarer, heller, reicher. Sie lebten nur noch im Zauber der Gegenwart — vergessen war alles, was hinter ihnen lag:

„Weg ist alles, was du liebtest,

Weg, warum du dich betrübtest,

Weg den Fleiß und deine Ruh' —

Ach, wie kamst du nur dazu?“

O, sie wußten, wie sie dazu kamen! Beglückt ließen sie sich von den Wellen der Zeit in die unbekannte Ferne tragen, lebensdurstig, lebenstrunken. Das schien ein Glück ohne Anfang und Ende — zeitlos, raumlos — was gab es noch auf der Welt außer diesem?

Sie waren ganz übermüthig vor jugendlicher Liebesseligkeit. Sie neckten sich, zerrten sich wie kleine Kinder, um sich dann wieder zum versöhnenden Abschluß in die Arme zu sinken und das Glück zu preisen, dieses Leben zusammen genießen zu dürfen.

Und sie wollten's genießen mit vollen Zügen, unbekümmert um gestern und morgen, ohne Vorbedenken und Nachprüfen, jeden Tag, wie er kam, nur noch verherrlicht durch den Glanz der Schönheit, den der glückliche Künstler über diese Welt zu werfen verstand. Der junge Maler sah ja so ganz anders in die Fülle der Erscheinungen hinein, und was Anderen Poesie genug schien, mußte er doch wieder erst ausgestalten zum wahren malerischen Bilde. Sein Geist war immer rege, Rupertine die Welt des Schönen zu eröffnen und mit ihr eine neue Welt aufzubauen. Willig, hingerissen folgte sie, Augen und Herz weit geöffnet, dem begeisterten genialen Künstler, und er selbst war ihr das herrlichste Bild, das sie, zwischen Werken der Kunst von höchster Vollendung mit ihm hinschreitend, an ihrer Seite fühlte als den köstlichsten Besitz des Herzens. Wenn sie mit ihm durch die bildergeschmückten Prachtsäle wandelte, wußte sie nicht, ob die leuchtenden Farben, die anmuthumflossenen Linien, der Reichthum mannichfaltiger Erscheinungen, oder seine leichte, freie Gestalt, sein schönes, strahlendes Antlitz, seine holde Stimme ihr Herz mehr ergriffen und es aufjubeln ließen: o wie schön, wie herrlich, wie ungeahnt wonnevoll ist dieses Dasein!

Sie wußten, daß sie anders geartet waren als Andere, daß sie auch in der Kunst nicht nur als Beschauer dastanden — wie Theile des Kunstwerkes erschienen sie sich —, sie bildeten zusammen eine höhere Welt, aus Schönheit, Duft und Glanz gewoben.

Otto sagte wohl, wenn sie in Betrachtung eines der Werke italienischer Meister versunken standen: „Sieh, Rupa, die Anderen beschauen sich das auch —, aber sie leben's nicht mit. Sie sehen's nur von außen. Sie sind wie die Menschen in Platons Höhle: sie sehen nur die Schatten an der Wand und nehmen sie für Wirklichkeit — unser Auge aber ist entsiegelt, wir blicken in den lichtdurchflutheten Aether und schauen die wahren Gestalten wandeln. Ein Gott hat uns die Augen geöffnet in dieser Welt der Wahrheit und Schönheit — ja, das ist sie denen, die durch ihre Schleier hindurchblicken. — Wahrlich, jeden Morgen sollten wir auf den Lido hinausfahren und die Arme ausbreitend dem neu auftauchenden Lichte einen Hymnus singen für soviel hohe Gnade!“

Da drückte ihm Rupertine wohl die Hand, tiefbewegt, und ihre Gedanken schweiften für einen Augenblick zurück zu dem edlen stillen Manne in der Heimath. Er hatte sie auch emporgehoben und begeistert — aber wie ganz anders war es nun doch! — Dort fühlte sie, wie der Blick frei wurde, wie die Welt sich ihr auseinanderbreitete, von klarem, hellem Lichte überschienen —, hier war es ihr, als müßte sie diese Welt an den Busen ziehen, als ob ihr das Herz überquellen sollte von Entzücken und Liebe. — War's die italische Luft und Sonne —, war es der Geliebte, der in aller Herrlichkeit vor ihr stand? — Sie wußte es nicht —, aber daß sie nun ihr Glück gefunden habe, mit dem nichts sich vergleichen konnte, das war ihr stündliches Bekenntniß. — Die schöne Blume prangte in voller, duftender Blüthe.

So vergingen den beiden Erdentrückten die Stunden und Tage. — Die Flitterwochen umfaßten Monate, und noch immer lagen die Strahlen des Glückes warm und hell auf Rupertinens Bahn.

Otto war unerschöpflich in tausend neuen Einfällen Er hatte ganze Trödlerbuden leer gekauft und die kostbarsten Trachten früherer Zeiten anfertigen lassen. Er bildete jetzt nicht auf der Leinwand mit Stift und Pinsel — in lebendem Stoffe wollte er gestalten. Oft zog er mit einem ganzen Schwarm alter und junger Venezianer und Venezianerinnen in die weiten, hohen Säle seiner prächtigen Wohnung und ordnete dann mit unermüdlichem Eifer, in der folgsamen Menge wie ein Feldherr stehend, Freude und Schaffenskunst in den blauen blitzenden Augen, die sorgfältig herausgeputzten Heiligen, Ritter, Senatoren, Edelfrauen und Gondoliere zu anmuthigen, farbenprächtigen Gruppen.

Rupertine war der Mittelpunkt von allem. Bald mußte sie die Himmelskönigin darstellen, auf hohem Throne sitzend, das Jesuskind in den Armen und umgeben von anbetenden Hirten und Königen; bald war sie die unglückliche Gattin Marino Faliero's, die mit aufgelösten Haaren an der Brust des Dogen ruhte und Abschied von ihm nahm, inmitten von Senatoren und Hellebardenträgern; bald wurde ein glänzendes altvenetianisches Gastmahl veranstaltet, wobei der Wein wirklich in Strömen floß und Otto als glücklicher Wirth zur höchsten Belustigung Rupertinens von Gast zu Gaste ging und in gebrochenem venetianischem Dialekt mit unbeschreiblicher Grandezza von der Eroberung Candia's, von glücklichen Seegefechten gegen die Genuesen sprach, als wäre eben die Kunde in der Stadt erst eingelaufen. Dabei rief er die alten ausgestorbenen Adelsgeschlechter ins Leben zurück, indem er diesen mit „lieber Foscari“, Jenen mit „theurer Oheim Dandolo“ anredete, oder zu einer schwarzäugigen Venetianerin sich niederbeugend, zärtlich flüsterte: „Himmlische Gaspara Stampa“; bald auch zauberte er ihr wieder eine Improvisatoren-Scene in ergreifender Wahrheit und Schönheit vor Augen.

Und von all diesen herrlichen Gruppen fertigte er auch nicht die kleinste Skizze an; als Rupertine ihn darum anging, deutete er lächelnd gegen seine Stirn und sagte: „Das ruhte alles hier, unauslöschlich und unverrückbar eingeprägt.“ Sie mahnte ihn auch wohl, doch wieder zu malen; seine Bilder waren gesucht, das wußte sie. Sie dachte doch hin und wieder, ob denn dieses verschwenderische Leben so weiter währen könne; aber dann sagte er: „In vierzehn Tagen angestrengter Arbeit erwerbe ich mehr, als wir für ein Jahr zu einem Leben in Saus und Braus brauchen. In meiner Phantasie und hier in meinen Fingern steckt eine Goldgrube, die unerschöpflich ist. — Ich kann Dukaten aus der Erde stampfen, mir wächst ein Kornfeld in der flachen Hand,“ setzte er lachend hinzu.

Sechs volle Monate währte der süße, köstliche Rausch, den nichts ernüchtern konnte; der erste Theil des Vertrags, den die guten und bösen Geister über den Häuptern der Liebenden geschlossen hatten, ward streng eingehalten. Dann setzten sich die bösen Mächte ans Ruder ihres Lebensschiffleins; die guten flohen und verhüllten die Augen.

2.

Es war ein freundlicher Februartag. La bella Venezia rüstete sich zum Karneval, und der Himmel schenkte ihr köstliches Geschmeide dazu. Die Kanäle und Lagunen glitzerten und funkelten im milden Sonnenlicht, und herrlich ruhten die schneebedeckten Alpen im Dufte der Ferne. Rupertine hatte in der letzten Zeit bemerkt, daß der Geliebte die frische Farbe verlor; er fieberte etwas — sie glaubte, er möge sich erkältet haben. Auch mochte ihm, der den Unglücksfall damals doch kaum verwunden hatte und dann von Kummer und Sorge gequält war, dieses Leben mit seinem tollen Uebermuth und den mannichfaltigen Ausschweifungen nicht eben zuträglich sein. Sie mahnte ihn liebevoll, sich zu schonen — sie wolle ihren Liebling in ganzer, strahlender Schönheit bewundern und besitzen. Er lachte sie aus und rief: „Seit ich dich habe, meine Süße, sind die geheimnißvollen Lebensgeister von neuem in mich eingezogen, wie damals, als mir auf dem Krankenlager dein Bild endlich wieder aufging. Sorge dich nicht, ich bin jetzt gefeit gegen jede Krankheit des Leibes, da meine Seele sich täglich an deinem Duft erfrischen kann, du holde, einzigste Blume!“ Und er ließ sich nicht überreden, anders zu leben.

So war er auch heute gleich nach Tisch ausgefahren, um, wie er sagte, Einkäufe in der Stadt zu machen, in Wahrheit aber, um einen tollen Streich auszuführen, den er sich längst ausgedacht hatte.

Rupertine setzte sich an ihren prachtvollen Flügel und versenkte sich in die berauschenden Fluthen der Musik. Sie mochte zwei Stunden lang gespielt haben, als sie aufstand und durch die Balkonthür hinaustrat. Sie stützte den Kopf auf den Arm und ließ sinnend die Blicke über das entzückende Bild schweifen, das sich vor ihr ausbreitete: über den Kanal Di San Marco, die öffentlichen Gärten, die Punta della Motta und das blaue, spiegelglatte Meer.

Da hörte sie die leisen Töne einer Mandoline von unten herauf erklingen. Sie sah hinab und gewahrte eine fürstliche Gondel. Die „felze“4) war abgenommen, und über die Mitte eine kostbare, goldgestickte, rothe Sammetdecke ausgebreitet, deren Enden tief in den Kanal herabhingen.

Auf jeder Bank stand ein Dritter, der die Mandoline schlug, in edelster Haltung. Locken quollen unter einem dunkelgrünen Sammetbarett hervor, das eine hohe weiße Feder schmückte, und fielen über Schultern und Rücken. Er war wie ein vornehmer Jüngling aus der Zeit Karls V. gekleidet. Ein anschließendes kurzes dunkelgrünes Sammetwamms umgab den Oberkörper; die Schenkelpuffe und Aermel waren geschlitzt, weißseidene Bäusche traten daraus hervor. Um die Hüften schlang sich ein goldener Gürtel, an dem ein Dolch in schön gearbeiteter Scheide hing. Vorm Gesicht trug der Sänger eine Maske.

Als der Jüngling sag, daß Rupertine ihm volle Aufmerksamkeit schenkte, griff er in die Saiten und sang mit kräftiger Stimme das schöne venezianische Gondellied:

„Coi pensiere malinconici

No te star a tormentar;

Vien con mir, montemo in gondola,

Andremo in mezo al mar.

Ti xe bella, ti xe zovene,

Ti xe fresca come un fior;

Vien, per tute le te lagreme,

Ridi adeso e fa l'amor.“

Als er geendet hatte, nahm er das Barett ab und grüßte, sich tief verneigend. Rupertine dankte huldvoll, und zum Lohne für das schöne Lied löste sie das Veilchensträußchen, das ihr am Busen blühte, und warf es geschickt in die Gondel hinab, der Sänger hob es auf, drückte einen Kuß darauf und befestigte es dann an der Brust. Dann fragte er im reinsten Italienisch, ob es ihm vergönnt sei, hinaufzukommen und nach altvenezianischer Sitte ein Glas auf ihr Wohl zu leeren.

Rupertine hatte bis dahin in dem Venezianer den Geliebten vermuthet; die Stimme klang ihr nun aber fremd. Sie antwortete lächelnd: „Nicht doch, schöner Jüngling; von solcher Sitte ist mir nichts bekannt!“

„Holde Göttin,“ antwortete es von unten, „Ihr irrt, dies war die Sitte meiner edlen Ahnen. Schlagt die Annalen unsres Geschlechtes auf; da steht es geschrieben. Ich stamme aus dem hohen Hause der Loredani!“

„Nun ist Eure Bitte ganz vergebens!“ rief Rupertine belustigt. „An Euren Händen klebt das unschuldige Blut des edelen Giacomo Foscari, meines Lieblings, den Euer schändlicher Ahnherr seinem Hasse opferte. — Fort aus meinen Augen, unglückseliger Enkel! — Ich hasse euch!“

Hoheitsvoll wendete sich der Angeredete zu seinen Begleitern und sprach laut: „Habt ihr gehört — sie hasset unser edles Haus! — Richtet sie! Welche Strafe soll unsre schöne Feindin treffen? Erhebt euch und verkündet's feierlich!“

Sie thaten, wie ihnen befohlen war, und riefen mit Pathos aus: „un bacio!“5)

Rupertine lachte hell auf. — Aber mit Schrecken gewahrte sie, daß der Gondoliere die Gondel mit einem kunstvollen Stoß an den Landungsdamm anlegte und die drei Männer ausstiegen, um in das Haus zu treten. Nun schien ihr der Karnevalsscherz dann doch zu weit getrieben. Sie eilte in den Saal und verschloß die Thüren.

Sie hörte die Männer die Treppe hinaufstürmen. Sie rüttelten an der Thür. Sie eilte nach dem Balkon — sie wollte um Hülfe rufen. Die Thür wankte und gleich darauf brach sie auf. Rupertine rief laut in deutscher Sprache: „Hülfe, Hülfe!“ — da eilte der Jüngling auf sie zu, ließ sich vor ihr auf das Knie nieder und sprach keck: „Fügt Euch, schöne Schuldige! Die Strafe kann Euch nicht erlassen werden!“

„Unverschämter“, rief Rupertine, „zurück, sage ich Euch!“

„Wollt Ihr nicht gutwillig geben, was ich begehre, so thut's gezwungen!“ sagte der Fremde und sprang auf, sie zu umfassen.

Da ballte Rupertine in Todesangst die Hände. Sie stieß den Frechen mit alle Kraft wider die Brust, während sie mit der Linken die Maske von seinem Gesicht riß.

In namenloser Bestürzung blickte sie in das Antlitz Otto's, das schmerzverzerrt, mit zusammengepreßten Lippen, in geisterhafter Blässe aus der ungewohnten Umrahmung der dunklen Locken hervortrat. — Er wollte sprechen — da faßte er nach der Brust, und plötzlich entquoll ein Blutstrom seinem Munde. — Seine Arme fielen herab; er sank zu Boden.

Rupertine war starr vor Schrecken. Sie war wie gelähmt. — Aber der hülfsbedürftige Zustand des Geliebten brachte sie zur Besinnung. — Laut jammernd richtete sie den Armen mit Hülfe der erschrockenen Begleiter auf und trug ihn auf den Divan. — Er schlug die Augen auf — aber ein zweiter, noch heftigerer Anfall packte ihn, er sank bewußtlos zurück.

Rupertine war verzweifelt. Sie klagte sich an: sie habe ihn gemordet, ihren Geliebten, den Einzigen gemordet! — Sie rang die Hände, sank am Lager nieder und bedeckte ihn mit Küssen. — Dann sprang sie empor: „zum Arzt, lauft, rennt, um Gottes willen, er stirbt mir, mein Geliebter — o eilt, rettet ihn!“ rief sie.

Der Arzt kam. Man hatte Otto zu Bett gebracht. Der Arzt untersuchte den Kranken; er erkundigte sich nach seiner Lebensweise, seinem Vorleben; er beruhigte Rupertine, die sich fortwährend anklagte. „Das hat den Ausbruch wohl veranlaßt,“ sagte er; „aber die Krankheit war schon da. — Pflegen Sie den Bedauernswerthen recht sorglich, verehrte Frau,“ sagte er zuletzt mit ernster Miene; „seine Brust ist sehr angegriffen; es hätte schon längst etwas geschehen sollen. — Doch hoffen wir auf seine Kraft und unser Klima! — Seien Sie zunächst außer Sorge!“

Rupertine sank erschüttert am Lager ihres geliebten Gatten nieder.

3.

Die Krankheit nahm langsam ihren Fortgang. — Zwar waren Beide von Hoffnung erfüllt, namentlich der Kranke selbst. Er baute felsenfest auf seine gesunde Natur; er meinte, er müsse auch diesen Unglücksfall überwinden wie damals. Sein leichter Sinn gaukelte ihm eine goldene Zukunft vor, und er schwelgte in den lichten Phantasiegebilden. — Es gelang ihm, auch Rupertine allmählich in ihrer Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang zu bestärken, so daß sie schließlich in seiner Krankheit nichts anderes als eine recht unliebsame Unterbrechung ihres frohen Zusammenlebens sah und sich schon auf die Zeit freute, wo sie den Becher voller berauschender Lebenslust freute, wo sie den Becher voller berauschender Lebenslust wieder an die dürstenden Lippen setzen könne.

„Sieh, meine süße Rupa,“ hatte Otto schon in den ersten Tagen gesagt, da sie mit gesenktem Haupte an seinem Lager saß und ihn tieftraurig und schwermüthig anblickte, „das will ja gar nichts bedeuten. — Denke, der große Goethe, ein Lebenskünstler wie wir, hatte ja auch einen solchen Anfall zu bestehen, und trotzdem — und trotz der langweiligen Klettenberg — ist er dreiundachtzig Jahre alt geworden! — Und so hoch will ich's ja gar nicht einmal bringen, mein Liebling! — Wir wollen nur unsrer Jugend genießen und ein paar Jahre noch auf dieser alten buckligen Welt unser frohes Wesen treiben. — Dann mag unser Leben verlöschen, wie ein fallendes Meteor und auf unsern Grabstein soll man die Worte setzen: ‚Hier ruhen zwei Glückliche, ein Fürst und seine Fürstin des Leibes, des Geistes, des Herzens. Sie lebten und starben in Flammen!‘“

Mit solch' heiterem Geschwätz, in das sich doch, ohne daß er's wollte, Todesgedanken einmischten, suchte er sie und sich aufzurichten.

„Der alte Salomo,“ sagte er einmal, „ruft uns die kecke Frage zu: wer hat köstlicher gegessen und sich ergötzt denn ich?“ Ei, alter Judenkönig, sage ich dir: ich — orientalische Majestät — ich! — Denn du hattest eine Sulamith, ich aber habe Sulamith und Diotima in einer einzigen wonnigen Leiblichkeit. — Und da soll alles eitel sein!“ Rupertine lächelte — es wollte ihr auch nicht scheinen, als ob dies glückselige Leben sich wirklich schon zum Ende neige.

Aber es trat keine Besserung ein. — Und nun kam etwas neues, schreckliches dazu — Sorge um das tägliche Brot! — Sie hatten ungeheure Ausgaben gemacht, und jede Aussicht auf neue Einnahmen war nun geschwunden. — Sie fingen an zu rechnen und entdeckten Ausstände über Ausstände; dazu verlangte die Pflege des Kranken, ihr ganzer Haushalt, immer neue Ausgaben.

„Wir müssen uns einschränken,“ sagte Otto eines Tages, als er wieder in seinem Taschenbuch geblättert und gerechnet hatte. „Bis ich wieder gesund bin,“ setzte er hinzu. — „Dann will ich aus dem Balkonzimmer ein wundervolles Atelier herrichten und nicht von der Staffelei weichen, bis das Bild fertig ist. — Mein Kopf ist voll von neuen Gedanken; es wimmelt von Gestalten und Farben in mir.“

Und ernster setzte er hinzu: „Ich kann Entbehrungen ertragen. Ich habe nicht immer so gelebt. — Aber du, meine zarte, verwöhnte Prinzessin, wie sollst du mit der Noth verkehren können?“ — Sie sah ihn mit thränenvollem Blicke an und seufzte schwer: „Es wird gehen, Liebster, es muß gehen!“

„Ja, es muß gehen,“ sagte er, schon wieder heiter. — „Durch Trübsal wird das Herz gebessert, nicht wahr, meine süße Rupertine? und wir haben das so nöthig, gelt, Schätzchen? Wie heißt's doch —

„Es mag und kann nicht anders werden,

Alle Menschen müssen leiden.

Was lebt und webet auf der Erden,

Kann das Unglück nicht vermeiden.

Des Kreuzes Stab

Schlägt unsre Lenden

Bis in das Grab,

Da wird sich's enden —

Gib dich zufrieden!“

Aber die Noth wuchs und wuchs; es ging rasend schnell bergab. Sie mußten schon anfangen, ihren Besitz zu veräußern; die junge Frau, unerfahren in den grausamen Verhältnissen der nüchternen Wirklichkeit, mußte sehen, wie kalt blickende, sie widerlich anmuthende fremde Menschen in ihr Heiligthum eindrangen und die liebsten Begleiter ihres glücklichen Lebens beschnüffelten und betasteten, sie mußte sehen, wie man einpackte und fortschleppte — o, das wollte ihr das Herz zerreißen.

Und drinnen lag der arme Kranke, dem bei diesem Unglück auch langsam Heiterkeit und Hoffnung schwand.

Ihr Elend trat in die schreckliche Phase ein, wo das Eine dem Anderen, erst leise, dann immer lauter, Vorwürfe zu machen beginnt. Oft saß Rupertine stundenlang an Otto's Lager, ohne daß sie ein Wort zusammen sprachen. Jedes fürchtete einen Ausbruch, und die Luft um sie ward schwüler und schwüler.

Otto sagte einmal: „Es bleibt uns nichts übrig — wir müssen die Hand unsrer Freunde ergreifen. An wen könnten wir uns wenden? Wir können uns doch nicht von Haus und Hof treiben lassen als Bettler!“

„Ach, Otto, ich weiß keinen Rath. — Mit wenigem ist uns nicht gedient. — Und ich kann es auch nicht — um Geld betteln, es ist zu entsetzlich!“ klagte Rupertine.

„Du bist seltsam, Rupa,“ versetzte er gereizt. „Wie sollen wir denn leben? — Dieser Stolz ist jetzt nicht mehr am Platz! — Sie sollen uns ja nichts schenken. Wir sind in Noth, in größter Noth — wir müssen uns beugen, es hilft nichts.“ — „Sage,“ fügte er rasch hinzu, „willst du nicht an Wolfgang schreiben?“

„Otto!“ schrie Rupertine wild auf. Ihre Augen flammten. „Was hast du da gesagt!“

Otto erschrank. Die Frage war ihm in der Aufregung entflogen. Er bereute sie; er hätte es ausgesprochen; aber da er Rupertinens Erregung sah, wollte er begütigen und sagte: „Wolfgang ist immer unser bester Freund gewesen.“

Aber in Rupertine gingen die Wogen schon zu hoch. „Du bist ein Barbar,“ rief sie bebend und mit krampfhaft geschlossenen Händen, „sonst hättest du das nicht denken, geschweige denn aussprechen können!“

„Rupa, Rupa“, warnte Otto mit mühsam verhaltenem Zorne.

Aber sie konnte sich nicht mehr halten. „Das war gemein und niedrig — das war schlecht!“ stieß sie in blinder Leidenschaftlichkeit verachtungsvoll hervor.

Otto zuckte zusammen. Er erhob sich auf seinem Lager, und sich auf den rechten Arm stützend, rief er, nun auch nicht mehr Herr über seine Worte, mit bleichem Angesichte: „Dir geziemt diese Sprache nicht; du trägst die Schuld an unserm Unglück! — warum kamst du damals nicht, als dich mein flehender Brief erreichte? — An meiner Seite war dein Platz, an meine Seite rief dich die Pflicht, denn du warst mein Weib auch ohne den Segen des Priesters! — Das war gemein, das war niedrig, das war schlecht, als du mich in Verzweiflung stießest und dich Wolfgang in die Arme warfst. — Aber du hast kalt und herzlos den Dolch an mein junges Leben gesetzt! — Du mußtest dir sagen — und der Philosoph an deiner Seite auch — daß meine verzehrende Leidenschaft die Trennung nicht ertragen könne — daß ich mich in den Taumel der Sinne stürzen würde — du hast meinem Leben damals den Todesstoß gegeben!“

Rupertinens Geist verwirrte sich. — Das Zimmer drehte sich um sie. — Sie preßte die Hand aufs Herz, das ein brennendes Weh durchzitterte. Da sah sie, zum Greifen deutlich, Wolfgangs helles Häuschen in hellem Sonnenlichte vor sich liegen. Friedvoll lugte es aus seinem grünen Schleier hervor: zauberisch und sehnsuchterweckend.

Sie stöhnte laut.

Den unglücklichen Kranken trieb die einmal erregte Leidenschaft weiter. „Du erntest, was du gesäet hast,“ rief er. „Ich habe nach dir geschmachtet in wahnsinniger Sehnsucht! O, meine Liebe zu dir hatte keine Grenzen! Aber du hast mich nicht geliebt, Rupertine, nie, nie! Während du mich im wilden Kampfe mit meinem namenlosen Sehnen wußtest, hast du Wolfgang glückselig lächelnd umarmt und ihn geküßt — liebedürstend geküßt — du hast es selbst gestanden! Ja, liebtest du mich, wie ich dich, du hättest längst die Noth gehoben, die mich und dich zermalmt. Wer aufrichtig liebt, kann alles thun, er geht in den Tod für den Geliebten, er mordet seinen Stolz mit kaltem Blute! Du aber sagst: ich kann nicht! Ist das Liebe?“ rief er höhnisch.

Er schlug sich mit geballter Faust vor die Stirn und fuhr fort: „O, blicke mich nicht so an! Ich weiß, was du sagen willst. ‚Warum hast du nichts gethan?‘ heißt das. ‚Warum sind deine Hände so müßig gewesen?‘ Ja, das denkst du: der Vorwurf liegt in deinen Blicken — er trifft mich wie kaltes Eisen — und es muß anders werden,“ rief er plötzlich, von furchtbarer Reue und Angst erfaßt. „Ich muß arbeiten, dich zu retten!“ Und wie vom Wahnsinn überfallen, reckte er sich empor und wollte vom Lager springen.

Rupertine fing ihn in den Armen auf. Er fiel zurück, und aufs neue stürzte ihm das Lebensblut vom Munde.

Sie war eifrig um ihn besorgt, und als er endlich eingeschlummert war, schlich sie sich davon und schrieb an ihre Freundin: „Mein Mann ist sterbend. Wir sind in höchster Noth. Sende mir, was du kannst. Ich muß betteln gehen!“ Sie ließ den Brief wegtragen. Dann setzte sie sich wieder zu dem armen Kranken: sie fühlte sich selbst vor dem Ende stehen.

Wenige Tage vergingen. Der Kranke war ganz still geworden, und als der Arzt kam, hatte er ihn gefragt, ob er aufstehen dürfe, um sein Auge wieder einmal an Venedigs melancholischer Herrlichkeit zu erfreuen. Der Arzt hatte eingewilligt: der Unglückliche war dem Tode verfallen; er wollte ihm diese letzte Freude nicht nehmen.

Otto saß in warmen Umhüllungen in einem bequemen Sessel. Die Balkonthüren waren weit geöffnet, und in durstigen, hastigen Zügen sog der Kranke die milde, balsamische Frühlingsluft ein. Rupertine kniete neben ihm.

O wie die blauen geistvollen Augen des Künstlers über Venedig und die Lagunen so selig hinschweiften! Seine eingefallenen Wangen erglühten, und nach einer Weile sagte er, die beiden Hände auf ihr Haupt legend: „Mir ist mit einemmal so wohl, so unaussprechlich wohl! Ich sterbe sans crainte ni espoir. Nur das Eine muß ich noch von mir nehmen: die abscheuliche schwere Kränkung, die ich dir zugefügt habe. Bitterste Reue quält mein Herz darüber. Rupa, Geliebteste, kannst du mir das verzeihen, ehe ich hinübergehe?“

„Otto,“ preßte sie hervor, „es ist längst vergessen! Und ich müßte mich ja vor dir anklagen; ich habe dich gereizt, gekränkt, dich armen Leidenden! Aber das Eine sage mir, mein Geliebter, daß du an meine Liebe glaubst!“

„Ach, ich bin schändlich ungerecht, wie ein Narr verblendet gewesen,“ sagte er. „Wie hast du mich geliebt, was hast du nicht alles für mich gethan, du Süße, Holde, Einzige!“ Er beugte sich nieder und küßte ihr leuchtendes Haar.

Nach einiger Zeit sagte er: „Wir wollen uns keiner Täuschung hingeben, Rupa! Das Ende ist herbeigekommen; der Vorhang wird bald fallen. Tirez le rideau, la farce est jouée!“ — „Aber das ist doch nicht richtig,“ fügte er mit traurigem Blicke hinzu; „mein Leben war keine Farce — ein Trauerspiel, alles zusammengenommen. Nein, ein Trauerspiel, ein Lustspiel und eine Farce! Und wenn alles vorbei ist, wirst du schreiben müssen:

Otto v. Düßfeld

passò quest' oggi il … dopo penosa malattia a miglior vita.“

„A miglior vita!“ wiederholte er, wehmüthig lächelnd, „ein besseres Leben! — Nein! Es gibt kein besseres Leben, als das unsre gewesen ist. Nein, so darfst du nicht schreiben, Rupa, das wäre eine Lüge. Schreibe: ad altra vita — in ein anderes Leben! Und am Schlusse heißt's dann: „La tumulazione sequirà … nella Chiesa Evangelica a Santi Apóstoli.“

„Ja,“ fügte er hinzu, „hier in Venedig müssen meine Gebeine ruhen. Sie sollen nicht nach dem kalten Norden. O, wie habe ich dieses Italien geliebt! Wie sanft und selig werde ich in seiner schönen Erde schlummern! — Uebrigens,“ fuhr er mit Humor fort, „hätten wir die Mittel gar nicht zu solchem Luxus!“

Auf einmal rannen ihm schwere Thränen über die Wangen, und schmerzlich bewegt sprach er: „In welchem Elend lasse ich dich zurück! Ach, wie entsetzlich, wie entsetzlich! Was soll nur aus dir werden?“

„Still, Geliebter — ich kann's nicht mehr hören! Beruhige dich, sorge du nicht; für mich wird gesorgt werden!“ sagte sie. „Ich habe geschrieben,“ fügte sie leise hinzu.

Er verstand sie falsch und sein Antlitz verklärte sich. Sie ahnte, daß er sie mißverstehe, aber sie wollte nichts mehr sagen.

Nach ein paar Augenblicken sprach er: „Vergiß nicht, den Konsul aufzusuchen. Er war mir befreundet und wird dir gern zur Seite stehen!“ Er schwieg wieder. Bald darauf fuhr er auf. „Da fällt mir noch ein: vorhin haben wir auf der Anzeige die Hauptsache vergessen — Ort und Datum! Also: Venezia — welcher Tag ist heute, Rupa?“

Rupertine wehrte ab. „O schweige, Liebster. Sprich nicht davon. Du thust mir so wehe!“

Sie lehnte sich in seinen Sessel zurück.

Eine ganze Stunde verfloß dann in lautloser Stille. Otto hielt Rupertinens Rechte: sie regte sich nicht.

Auf einmal merkte sie, wie er Anstrengungen machte, sich aufzurichten und zu sprechen. Sie sprang auf, um ihn zu unterstützen; aber schon war er mit irrenden Augen zurückgesunken. Sie verlor die Fassung, da sie ihn anblickte. Sie schrie laut auf und sah ihn wie irrsinnig an.

Er röchelte schwach, kurz. Noch ein Versuch, sich zu erheben — da sank er zurück — er war todt.

4.

Im badischen Bahnhofe zu Basel wollte der Schalterbeamte eben das Fensterchen schließen, als eine vornehm aussehende Dame noch eilig herantrat und sich erkundigte, was ein Billet nach X. koste. Er gab den Preis an. Die Dame erschrak sichtlich und fragte dann nach dem Fahrpreis bis Heidelberg. Als der Beamte ihn genannt hatte, verlangte sie eine Karte bis dahin und zählte mit zitternder Hand das Geld dafür auf das Brett. Sie grüßte darauf und eilte weg. Der Mann schloß kopfschüttelnd sein Schalter und sprach vor sich hin: „Was das wohl sein mag? So fein gekleidet und offenbar ohne Geld. Fährt dritter Klasse, solch elegantes Dämchen! Der muß etwas schlimmes passirt sein!“

So weit war es mit Rupertine gekommen; sie mußte mit ängstlicher Genauigkeit jeden Pfennig berechnen — und doch reichte es nicht, sie nur nach dem stillen Städtchen zu bringen. Sie hatte alles, was sie von Werthsachen noch besaß, verkauft, um die Schulden in Venedig zu decken; den Schlüssel zu ihrer schönen Wohnung hatte sie dem Besitzer übersendet. Nachdem sie das Nöthigste für Otto's Grab besorgt hatte, war sie abgereist, völlig arm und verlassen. Der Rest der von der Freundin gesendeten Summe mußte für die Fahrt aufgespart werden — für die letzte Fahrt, die sie, völlig niedergeschlagen, gänzlich hoffnungslos antrat — in die Heimath! Sie wollte noch einmal das liebliche Plätzchen an der Bergstraße sehen, noch einmal das treue Gesicht des Freundes, noch einmal einen Blick in sein freundlich stilles Heim werfen. Weiter wünschte sie nichts mehr — nur zu enden begehrte sie — der Tod war ihr Ziel geworden. Sie fühlte auch, wie die Kräfte schwanden, wie der Körper von Fieberfrost durchschauert ward; in ihrem Geist war es Nacht, sie konnte nichts mehr klar erkennen, nichts mehr ausdenken.

So saß sie nun, in eine Ecke des Coupees gedrückt, still da und schloß die müden Augen; „noch eines, noch eines“ — flüsterte sie leise vor sich hin.

Sie kam in Heidelberg an. Es war gegen Abend. Ein toller Wind war losgebrochen und raste über das Land hin. Dazwischen fielen von Zeit zu Zeit mächtige Regengüsse nieder; alle Wege waren durchweicht und schlüpfrig.

Rupertine fragte am Bahnhof nach der Landstraße nach Darmstadt. Als sie den Weg dahin zurückgelegt hatte, schritt sie eilig auf der naß erglänzenden, schon düster werdenden Straße hin. Ihre Augen sahen starr in die Ferne, immer in einer und derselben Richtung, und immer ging sie im selben hastigen Schritt weiter und weiter.

Der Abend kam und die Nacht. Der Wind hatte nachgelassen; der Regen rann unablässig. Rupertine schritt dahin, als ob sie nichts von allem empfände. Ihre Haare lösten sich auf und hingen verwirrt und triefend herab.

Nach langer Wanderung fing sie leise an vor sich hin zu singen, wie ein träumender Vogel; das Lied wollte ihr nicht mehr aus dem Sinn:

„Des Kreuzes Stab

Schlägt unsre Lenden

Bis in das Grab,

Da wird sich's enden —

Gib dich zufrieden!“

Die Nacht verging, der Tag kam grau und trübe herauf.

Fuhrleute kamen ihr entgegen mit ihren knarrenden Wagen; hier und da ein Wanderer. Alle blickten verwundert auf sie. Sie wich ihnen scheu aus und huschte vorbei.

So eilte sie weiter. Plötzlich glitt ein glückseliges Lächeln über ihr bleiches Antlitz. Sie hatte es gesehen, weit vor sich noch.

Sie verdoppelte ihre Schritte und siehe da — da endlich lag es vor ihr, wohin sie eilte: die kleine weiße Villa, deren Schimmer ihr geleuchtet hatte bis hierher bei Tag und Nacht.

Sie trat heran und hielt sich am Gartenzaun einen Augenblick fest. Mit Innigkeit blickte sie das stille Häuschen an. Dann öffnete sie das Thor und flog durch den Garten zur Hausthüre, hier sank sie mit einem gellenden Schrei ohnmächtig zusammen.

So fand sie Wolfgang, als er auf den Schrei hinausgeeilt war. Ein Blick — und er hatte sie erkannt. Er erblaßte und lehnte sich an die Thür, bis ins Innerste erschüttert. Er faßte sich, hob sie auf, nahm sie in die Arme; er küßte den armen, bleichen Mund — dann trug er sie in ihr Zimmer, das noch unverändert war, seitdem sie es verlassen hatte.

Sechs Tage vergingen. Rupertine verbrachte sie in heftigen Fieberphantasien. Endlich trat eine kleine Besserung ein. Die Aerzte glaubten Hoffnung schöpfen zu dürfen und richteten Wolfgangs Muth auf. Er saß stille bei ihr und beobachtete sie unaufhörlich.

Aus ihren zusammenhangslosen Reden hatte er herausgehört, daß Otto gestorben sein müsse, und daß die Armen in Venedig in großer Noth gewesen waren. Er wurde aufs schmerzlichste vom Tode des geliebten Freundes ergriffen, er machte sich die schwersten Vorwürfe, daß er nicht an sie geschrieben, ihnen seine Hülfe nicht angeboten hatte. Aber er konnte ja nichts von ihrem Unglück ahnen. Wenn er sich Rupertine in ihrer hülflosen schrecklichen Lage dachte, in fremdem Lande, unter fremden Menschen, krampfte sich sein Herz qualvoll zusammen. Das Mitleid ließ ihn nicht mehr und spannte ihn auf die Folter. Alles, was er gewesen war, was er gelitten hatte in seiner stillen, in sich verschlossenen Liebe, war wie ausgelöscht, und angstvoll flehte er: „Laß sie nicht sterben!“

Es war ihm, als müsse es einen Gott geben, der dies arme Leben noch einmal erhalten könne.

Rupertine schlug die Augen auf und schien endlich zu sich zu kommen. Sie sah ihn verwundert an, und er verfolgte mit den Augen alle Bewegungen ihres Gemüthes, die sich in ihrem bleichen Gesichte spiegelten. Zuerst staunte sie, dann zeigte sie Schrecken und große Angst; aber allmählich ward der Blick milder und milder, bis er in tiefster Ergebung an ihm hing.

Zu ihr sich neigend flüsterte er: „Meine gute, liebe Rupa!“

„Ach, Wolfgang,“ sagte sie, „wie ist deiner Rupa nun so wohl! O welch unverdientes Glück, endlich noch einmal bei dir sein zu dürfen! Ich habe schwer gelitten — und der arme, arme Otto! Und wir sind so glücklich gewesen — bis auf die letzte Zeit — die war entsetzlich!“

Sie hielt erschöpft inne. Wolfgang bat sie herzlich, nicht mehr zu sprechen und sich zu schonen.

„Ja,“ antwortete sie, „ich will folgsam und still sein. Aber etwas fällt mir schwer auf die Seele. Das muß fort. Wolfgang, darf ich dich noch um etwas bitten?“

„Rupa,“ rief er erschüttert, „alles, was ich besitze, ist dein; alle meine Kräfte gehören dir!“

„Ich danke dir von Herzen, du Guter, Edler!“ sagte sie und lächelte ihn an. „Ich mußte in unsrer schrecklichen Noth betteln; die Freundin in Frankfurt war so lieb. Ach, nicht wahr, du sorgst dafür?“

Wolfgang konnte nicht antworten. Sein Herz wurde von tiefstem Weh ergriffen. Er drückte ihre Hand und nickte.

Sie schloß die Augen. Ein glückliches Lächeln blieb auf ihren Lippen.

So lag sie ruhig bis zum Abend. Da erfaßte sie das Fieber mit erneuter Wuth. Mit rasender Schnelligkeit flog der Inhalt der letzten Monate an ihrer Phantasie vorbei; Bild folgte auf Bild, Frohes und Furchtbares, alles wild durcheinander. Der Name Otto, des Vaters, sein eigener kamen häufig von ihren Lippen; bald lächelte sie selig, bald lachte sie auf, bald schrie sie um Hülfe. Dann wurde sie auf einmal wieder ruhiger und fragte: „Ist Venedig nicht unbeschreiblich schön?“ Und dann: „Wo ist der Fächer, wo ist mein Schleier? — ah, Foscari — beatissima Gaspara — fort, Loredano,“ rief sie dann heftig. „Fort, zurück! — Einen Kuß? — Unverschämter — Hülfe — ach!“

Sie stieß einen herzzereißenden Schrei aus. „Ich hab' ihn gemordet — meinen süßen Liebling gemordet! Laßt mich — ihr da, weg von dem Tisch, weg von den Bilder — weg, sag' ich — doch nein, ihr habt recht, nehmt nur, schleppt alles fort — fort, fort — o mein Armer, Armer, Einziger!“ Und dann fing sie leise an zu singen, unsäglich rührend:

„Es mag und kann nicht anders werden

Alle Menschen müssen leiden.

Was webt und lebet auf der Erden,

Kann das Unglück nicht vermeiden.

Des Kreuzes Stab

Schlägt unsre Lenden

Bis in das Grab,

Da wird sich's enden. —

Gib dich zufrieden!“

Sie schwieg und blickte ins Leere. Nach einer Weile fing sie traurig an:

„Was zog sie aus ihrem Schürzelein?

Ein Hemd so weiß wie Schnee.

Sieh' da, du Hübscher, du Feiner,

Du Herzallerliebster und du Meiner,

Das soll dein Sterbekleid sein!“

Wolfgang konnte es nicht länger ertragen, den festen Mann erstickte die Wehmuth. Er wollte ans Fenster treten, um einen Augenblick die heiße Stirn zu kühlen, und ließ Rupertinens Hand los. Aber sie faßte mit raschem Griff nach der seinen und flehte: „Verlaß mich nicht, ach verlaß mich nicht!“

Sie lehnte sich zurück und war einige Augenblicke ganz still. Plötzlich fühlte Wolfgang einen stählernen Druck ihrer Hand, und zugleich sah er das Licht ihrer Augen erlöschen. Ein einziger schwerer Seufzer — sie war erlöst. Das wilde stürmische Herz hatte ausgerungen. Sie war eingegangen zum ewigen Frieden.

Tieferschüttert drückte ihr Wolfgang die Augen zu. Er brach zusammen unter diesem letzten und schwersten Schlage. Alle Lieben hatten ihn verlassen — sie hatten ihre Erlösung durch Leid und Trauer gefunden — er stand allein — ach, inmitten seiner Gedanken, inmitten der Menschheit, der er leben wollte, so mutterseelenallein!

Er sank neben der Leiche in die Knie, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und weinte bitterlich.

Wanderer, die vorübergingen, blieben vor der lieblich ruhigen, hellschimmernden Villa stehen. „Was mag in dem stillen Hause vorgehen?“ fragte wohl einer. „Ein Glücklicher muß da in ungetrübter Ruhe seine Tage genießen!“


Fußnoten

1)

„Mit ruhigem Gleichmuth wappne die Seele

Am Tag des Unheils; aber am glücklichen

Den ausgelass'nen Rausch der Luft auch

Mäßige!“(Seibel.)

2)

„Du, der Götter und Menschen Gebieter, Amor!“

3)

in der Betrübnis heiter, in der Heiterkeit betrübt!

4)

Kajüte.

5)

Ein Kuss.